■ Mögliche Orte: Mon bijou
Hinter der Museumsinsel, wo Kanal und Spree zusammenfließen, wohnt kaum ein Mensch: keine Freunde, die sich besuchen ließen und man selbst ohnehin nicht. Nicht einmal Büros und Banken, in denen es etwas zu erledigen gäbe. An der Monbijou-Brücke bleibt jeder Fremder unter Fremden. Wer hierher kommt, will entweder schnell von den Linden in die Oranienburger und andersherum oder entsteigt einem der Reisebusse oder ist von ganz woanders her.
Fremde aber gucken anders. Sie schauen an den Wänden empor, suchen erst Giebel, dann Schilder und schließlich einen Zipfel Himmel, um die Dimensionen wieder zurechtzurücken. Und Dimensionen gehen am Kupfergraben besonders schnell verloren, bei soviel Geschichte, wie sie sich hier ballt. Am Wasser wuchten Zeughaus und Altes Museum, hie die Nationalgalerie mit „deutscher Kunst“, dort das Pergamonmuseum mit herangekarrten Altertümern. Direkt neben der Monbijou-Brücke das Bodemuseum. Soviel Stein gewordener Musealisierungszwang setzt unter Druck: Einfach nur da sein, ist verboten. Entweder rein ins Elysium oder nichts wie weg.
Wäre da nicht eben jene Brücke. Unten gluckst das Wasser und riecht nach Entengrütze, oben laden staunende Drachenköpfe und steinerne Simse zu einer fluchtpunktreichen Aussicht ein. Das ist ein nettes Angebot, die Perspektive gleichwohl eine vertrackte. Denn nichts ist hier so, wie es vorgibt zu sein. Noch nicht einmal der Boden unter den Füßen, der so aussieht, als seien über ihn schon die Kurfürstinnen in ihr Schlößchen gehuscht: Die Patina ist Fake – die Monbijou-Brücke gibt es erst seit gut neunzig Jahren. Selbst ihr Name ist kein Original. Einst hieß sie einfach Museumsbrücke, mitunter aber auch nach Kaiser Friedrich III. Heute macht die Brücke den Eindruck, als sei sie allein für Kunstliebhaber gemacht.
Ihre krude Architektur ist ein Konglomerat vergangener Ereignisse. Im 18. Jahrhundert zum ersten Mal erbaut, im folgenden verschoben und dann wieder abgebaut, in diesem neu errichtet, umbenannt, zerstört und wieder geflickt, zeigt die Monbijou-Brücke die Wendepunkte ihrer Existenz im Material. Ihre Steinplatten erinnern an die Gründerzeit, zwei nachgegossene Laternen an die Jahre, als in der DDR preußisches Erbe plötzlich großgeschrieben wurde, die frische Politur an die Restaurierungswut des vereinten Berlins. Asphalt und Wellblech der provisorischen Spreebrücke sind wiederum Ersatz für die Nordhälfte, die 1945 gesprengt wurde.
Das also sind die Zeichen der Zeit, und ihre Botschaft ist so beruhigend wie banal: Nichts ist von Dauer, nichts bleibt so monumental, wie es einmal gebaut worden ist. Vergangene Ereignisse präsentieren sich übersichtlich nebeneinander oder absurd ineinander verschränkt, als ob sich intime Details einer Vita gleichzeitig aufblättern und kreuz und quer lesen ließen. Bei solch einer Lektüre kann man durchaus ein Brötchen verzehren, und während man kaut, guckt man zurück über den Kupfergraben, ohne sich länger einschüchtern zu lassen.
Zwar lagern hinter den Museumsmauern die Jahrtausende, beinahe wieder so ordentlich in Szene gesetzt, als sollte Hegelscher Weltgeist noch immer aus der Flasche springen. Aber draußen reihen sich die Überbleibsel der Epochen nicht in strikter Folge, die es mühselig zu durchschreiten gilt, sondern neben- und durcheinander wie die Brückensteine. Roßbändiger konkurrieren mit den Kriegermasken, Friedrich Wilhelm IV. hat seinen angestammten Platz vor der Nationalgalerie verlassen müssen und hockt nun mit seinem Musenhof vor der offenen Fassade des Neuen Museums, das demnächst neu gebaut werden soll. Mittendrin die Gleise der Stadtbahn, reingehauen während des industriellen Aufbruchs, rechts daneben durchkreuzt eine spätmoderne Vorhalle die Absicht, das Pergamonmuseum einem Ehrenhof gleichen zu lassen. Und irgendwo winkt Germania einem Trabi zu: So ist das, wenn Geschichte durcheinander geht.
Dann können Steine nicht länger imponieren. Sie ziehen sich zurück in ein großes Ganzes, das endlich die Sicht freigibt auf das, was den Ort tatsächlich bestimmt: Auf das Wasser, das unter der Brücke fließt und den Wind mit zwischen die Denkmäler nimmt. Und das Anschluß an ferne Städte verheißt. Wenn man wollte, wie man könnte, dann ließe sich von hier bis Rotterdam schippern. Schöner als an meinem Lieblingsort ist es sowieso anderswo. Claudia Wahjudi
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