■ Interaktiv shoppen bei Otto und Quelle: Modische Rippe, leichte Viskose
Das Vorurteil besagt, daß vornehmlich Frauen bei Versandhäusern bestellen. Aber sehen Sie sich Computerfreaks doch mal genau an. Sehen die nicht alle irgendwie ähnlich aus? Spitznasig, erschreckend dünn, grauer Teint, bebrillt und nachlässig gekleidet. Computerfreaks betreten offenbar ungern Kaufhäuser, die Computer-Abteilungen ausgenommen. „Otto“ und „Quelle“ haben sich der unmodischen Spezies erbarmt und ihr Angebot auf CD-ROM gepreßt. Jedermann kann die silbernen Warenhäuser, wenn – wegen der Blamage – keiner zuguckt, im besseren Bahnhofsbuchhandel erwerben. Nie wieder im labbrigen Sweatshirt vor dem Monitor, denn „Jetzt wird einkaufen noch schöner“, verspricht „Deine Quelle“. Richtig, aber nur wenn Pentium- Prozessor und vierfach schnelles CD-Rom-Laufwerk rattern. Andernfalls hat man in der für den Aufbau der Grafiken, Texte und Animationen benötigten Zeit locker an die 30 Katalogseiten gewälzt oder es gar bis ins nächstgelegene Karstadt geschafft. Aber da gibt's halt keine kleinen Filmchen – wie die Ausschnitte aus dem „König der Löwen“, die jüngste Spezialisten interaktiv-shoppingmäßig konditionieren – und persönlichen Worte. Dieselben sowie zuversichtliche Musik begrüßen jeden einseitig auf Multimedia fixierten Konsumenten. Nie mehr ein anonymer Lumpen-Egon sein, wo man als Versandhausanzugträger doch allemal wie Karl Lagerfeld aussehen kann! Und noch dazu von ewiger Schönheit umgeben ist: Ein Klick mit der Maus, und Models mit Beinen bis zum Kinn tanzen auf dem Catwalk einer Stadt der Zukunft („Quelle“). Gutgelaunte Familien, aktive, gutaussehende Menschen – Sie können dazugehören! Claudia Schiffers blonder Busen räkelt sich am Traumstrand (natürlich „Otto“). Oh, Karibik? Kein Problem. Ein Klick auf Claudias Busen – halb verhüllt von einem „Kleid, rot, Spaghettiträger, gut ausgearbeitete Brustkörbchen“ – und schon hat man ein Suchprogramm vor Augen. Stichwort „Badehose“ — „Kastenform, 29,95 DM“. Na, vielleicht doch lieber „Chillytime“ oder „Chic im Büro“ – wegen der heimlich erträumten Systementwicklerkarriere? Klick, für 279 Mark her mit dem „Zweihosenanzug“. Oder, bei der Konkurrenz-CD-ROM, „Anzug, zweihosig“. Humor ist, wenn man trotzdem lacht: „modische Rippe“ – nicht was Sie denken, Sie Kannibale, es handelt sich um ein geripptes Shirt. Oder, fast eine Drohung: „Unterhaltung nonstop“ und „Typberatung“. Nach mehrstündigem Shopping bei Man-gönnt-sich-ja-sonst-nichts- Sektgenuß ist die Freundin des ehemals unansehnlichen PC-Maniacs dann entschieden ein „klau- brau-güner Sommertrüb“. Das passende Kleid, „absolut trendstark, Empirelinie, 100% Viskose, apricot-blau, 69,95 DM“, erscheint stantepede vor den viereckigen Äuglein. Wer wollte da widerstehen? Klick auf „Warenkorb“ und „Bestellen“, wehe dem, der ein Faxmodem besitzt. So richtig schade am interaktiven Shopping ist nur, daß man die Leute auf dem Monitor nicht, wie bei so manchem popeligen Computerspiel möglich, an- und umziehen kann. Die anstandslos zahngepflegten Trendherbeilächler beispielsweise bei trefflicher Untermalung mit Stadiongeräuschen in ein „Fußball- Shirt für Erwachsene, Baumwolle, 49,95 DM“, Mannschaft der Wahl, und einen „Batist-Halbrock, weiß, Baumwolle, 34,95 DM“ zwängen darf. Wollen Sie so aussehen? Tatsächlich? Na, denn: „Danke für Ihren Besuch. Wir wünschen Ihnen eine schöne Zeit!“ Anke Westphal
Die „Otto“-CD-ROM für 5 Mark und die „Quelle“-CD-ROM für 10 Mark gibt es an gutsortierten Zeitungskiosken.
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