Modis Plan für ein neues Kaschmir: Nach vier Jahren verfassungskonform
Der indische Bundesstaat Jammu und Kaschmir hat keinen Sonderstatus mehr, das hat ein Gericht bestätigt. Bis September 2024 sollen Wahlen stattfinden.
Denn die Sonderrechte gewährten eine eigene Verfassung. Darunter fiel auch, dass Außenstehende kein Land erwerben durften. Das Interesse der Regierung ist, die muslimisch geprägte Region stärker in das mehrheitlich hinduistische Land zu integrieren. Das Gericht argumentierte, dass der Status, der durch den Artikel 370 der indischen Verfassung gewährt wurde, eine „vorläufige Bestimmung“ gewesen sei, um die Integration von Jammu und Kaschmir mit dem Rest Indiens zu erleichtern. Der Gerichtshof bestätigte die Entscheidung, die Region Ladakh als Unionsterritorium von Kaschmir zu trennen.
Indiens Premierminister Narendra Modi und seine hindunationalistische Regierungspartei BJP begrüßten die Entscheidung. Das Urteil sei nicht nur eine juristische Entscheidung, „sondern auch ein Hoffnungsschimmer“, schrieb Modi auf X und sprach von einem „neuen Jammu und Kaschmir“.
Dahinter steckt die Idee eines „neuen Indiens“, das sich stärker an der hinduistischen Mehrheitsgesellschaft orientiert. Entsprechend nüchtern zeigten sich kaschmirische Politiker:innen. „Ich bin enttäuscht, aber nicht entmutigt. Der Kampf wird weitergehen“, teilte Omar Abdullah, ehemaliger Ministerpräsident der Himalaja-Region Kaschmir, mit. Man sei auf einen langen Weg vorbereitet. Abdullah soll ebenso unter Hausarrest gestellt worden sein wie die bekannte Politikerin Mehbooba Mufti. Sie rief die Bevölkerung per Videobotschaft zu Optimismus auf.
Das Gericht wies auch an, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir wiederherzustellen und bis September 2024 Wahlen abzuhalten. Das könnte wieder mehr Selbstbestimmung für die Bevölkerung bedeuten.
Sonderrechte aufgehoben und Unterstellung an Delhi
Am 5. August 2019 wurden nicht nur die historischen Sonderrechte aufgehoben, sondern die Region wurde seitdem als Unionsterritorium verwaltet, die der Regierung in Neu-Delhi unterstellt ist. Die Kongresspartei, die Indiens Politik über Jahrzehnte prägte, habe Muslim:innen zu sehr beschwichtigt, wie etwa durch Sonderbehandlung für Kaschmir, wirft die BJP ihrer Konkurrenz gerne vor. Der Kongresspolitiker Palaniappan Chidambaram sagte, seine Partei prangere weiter die Art und Weise an, wie der Status aufgehoben wurde.
Es herrschte Ausnahmezustand. Mit Ausgangssperren und Hausarrest für lokale Führungspersönlichkeiten wurde 2019 versucht, Proteste zu unterbinden. Internet- und Telefonverbindungen waren stark eingeschränkt.
Chidambaram begrüßte jedoch, dass die Bundesstaatlichkeit in Jammu und Kaschmir wiederhergestellt werden soll. Die Wünsche der Bevölkerung in der buddhistisch geprägten Region Ladakh, die Unionsterritorium bleibt, dürften aber nicht übergangen werden, mahnte er. „Wir sind jedoch der Meinung, dass die Wahlen sofort abgehalten werden sollten“, so der führende Politiker. Die Resthoffnung, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung der Regierung anfechten würde, ist verflogen. Die Bevölkerung sei nicht glücklich über das Urteil, müsse es aber akzeptieren, betonte der ehemalige Oppositionsführer Ghulam Nabi Azad.
Der Ausgang könnte Modi mit seiner pro-hinduistischen Agenda im Wahljahr 2024 zu Gute kommen. Erst kürzlich meldete das BJP-geführte Innenministerium, dass Terroranschläge in Jammu und Kaschmir auf ein Sechsjahrestief gesunken seien. Immer wieder kommt es zu Gewalt in der Region, die bekannt für seine hohe Dichte an indischen Sicherheitskräften.
Kaschmir ist seit dem Ende der britischen Kolonialzeit Streitpunkt zwischen Indien, Pakistan und China, die je die Region beziehungsweise Teile für sich beanspruchen. Seit 1989 kämpfen mehrere Rebellengruppen teils für die Unabhängigkeit der Region, teils für mehr Autonomie oder ihren Anschluss an Pakistan.
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