Modellprojekt setzt auf gute Bedingungen: Bremen lockt Ex-Pflegekräfte zurück
Kommt Pflegepersonal zurück, wenn Arbeitsbedingungen sich verbessern? Ein Modellprojekt versucht, im Praxistest einen Teufelskreis zu durchbrechen.
In Bremen hat vor drei Jahren eine Studie von Arbeitnehmerkammer und Universität aus dieser Problemlage eine gute Nachricht extrahieren können: Bis zu 1.500 Pflegefachkräfte könnten im Land Bremen zusätzlich zur Verfügung stehen, so das Ergebnis – wenn sich nur die Arbeitsbedingungen verbessern. Zahlreiche Pflegekräfte, die raus sind aus dem Job, könnten sich demnach vorstellen, zurückzukehren. Und die Hälfte aller Pflegekräfte, die in Teilzeit arbeiten, würden unter besseren Umständen gerne wieder Stunden aufstocken.
Dieses Potenzial an Pflegekräften auch praktisch zu heben, das versuchen nun das Gesundheitsressort, das Arbeitsressort und die Arbeitnehmerkammer Bremen mit einem gemeinsamen Modellprojekt.
An der Geburtsstation des kirchlichen St.-Joseph-Stifts darf nun über vier Jahre im Projekt „Ich pflege wieder, weil …“ versucht werden, die Arbeitsbedingungen so weit zu verbessern, dass offene Stellen besetzt werden können – und zwar ohne die neuen Arbeitskräfte bei anderen Kliniken abzuziehen. 1,2 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds stehen dafür zur Verfügung.
Belastende Bedingungen
„Es ist der Elchtest, ob das praktisch funktioniert“, sagt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer. Leicht wird es nicht, so viel steht schon fest. „Die Katze beißt sich da in den Schwanz“, sagt Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke): Pflegekräfte verlassen den Job oder reduzieren ihre Stellen, weil die Arbeitsbedingungen so belastend sind. Und die Arbeitsbedingungen sind vor allem deshalb so belastend, weil es an Personal fehlt.
An der Geburtsstation am St.-Joseph-Stift sind 4,5 volle Stellen in der Pflege nicht besetzt – bei insgesamt 22 vorgesehenen Stellen laut Personalschlüssel; rund 20 Prozent fehlen. Die Vorschläge, wie genau das fehlende Personal gewonnen werden soll, bleiben in Teilen schwammig. Das liegt auch an der Projektkonzeption: Verbesserungsvorschläge sollen von der Belegschaft selbst entwickelt werden.
Für eine Startphase setzt das St.-Joseph-Stift auf zwei Springerkräfte aus Zeitarbeitsfirmen. Eine wirkliche personelle Verbesserung gibt es damit allerdings nicht. Die beiden Springerkräfte decken keine der fehlenden Stellen ab, sondern sollen nur die Mehrbelastung auffangen, die das bestehende Personal für das Modellprojekt aufbringen muss – zum Beispiel, um an Befragungen teilzunehmen, an Fortbildungen oder für die Projektleitung selbst.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Gewonnen werden muss das zusätzliche feste Personal also, bevor es die Verbesserungen im Dienstplan geben kann, die zu besseren Arbeitsbedingungen führen würden. Etwa eine Stelle könnte aus dem aktuellen Team heraus gewonnen werden: Die Hälfte der 17 Pflegenden dort arbeitet in Teilzeit. Überträgt man die Ergebnisse der Studie, so dürften davon etwa vier Personen unter besseren Umständen dazu bereit sein, bis zu zehn Stunden mehr zu arbeiten – gemeinsam kämen sie auf bis zu 40 Stunden.
Auf die vorhandenen Teilzeitkräfte setzt Kadah im ersten Schritt auch deshalb Hoffnung, weil sie den versprochenen Wandel als Erste merken und mit bestimmen können. „Das Schöne an dem Projekt ist, dass wir es in den nächsten Monaten selbst entwickeln können.“
Die ausgeschiedenen Pflegekräfte dagegen müssen erst einmal gefunden werden: Die Bundesagentur für Arbeit soll ehemalige Pflegende anschreiben, auch Annoncen werden geschaltet. Damit auch sie das Versprechen auf Besserung glauben, braucht es handfeste Argumente.
Ein paar konkrete Ideen gibt es schon, um bestehende Probleme anzugehen: Für Führungskräfte soll es Fortbildungen geben – deren Wertschätzung für die Pflegekräfte wurde im Rahmen der Studie als wichtigste Bedingung für den Wiedereinstieg identifiziert.
Neues Ausfallmanagement
Klar ist auch, dass es Zeit für sogenannte „Kollegiale Beratung“ geben soll – eine Methode, um fachliche Fragen oder psychologische Belastungen im Austausch zu diskutieren. Das klingt zunächst nicht nach einem Gamechanger – aber laut Studie halten 86 Prozent der Befragten feste Zeiten für einen solchen Austausch für sehr bedeutsam.
„In der Praxis ist das einfach bisher nicht ausreichend vorgesehen“, erklärt Güzide Kadah, die als Pflegedienstleitung an der Geburtsstation das Projekt leiten wird. Eine längere und akademisch fundierte Einarbeitung beim Wiedereinstieg sowie bessere Karrieremöglichkeiten durch Schulungen ergänzen die Vorschläge.
Laut Projektkonzeption strebt Kadah vor allem auch zwei strengere Betriebsvereinbarungen an – die Personalbemessung in der Geburtshilfe muss angepasst werden, damit in Zukunft nicht mehr fünf Gebärende auf zwei Hebammen kommen können.
Und das Ausfallmanagement, also die Frage, wie man mit kurzzeitigen Personalausfällen umgeht, muss ebenfalls neu geregelt werden. Ziel eines modernen Ausfallmanagement ist es meist, dass Beschäftigte nur noch in absoluten Ausnahmen aus dem „Frei“ geholt werden. Stattdessen soll mit Jokerdiensten immer etwas über Bedarf geplant werden.
Verbesserungen beim Arbeitgeber durchsetzen
Kadah kündigte bei der Pressekonferenz an, dass in Zukunft auch ein Bettenbelegungsstopp konsequent durchgesetzt werden müsse, wenn nicht genug Personal da sei. Die Klinik selbst hält sich zu dieser Frage bisher zurück: „Es ist nicht vorgesehen, dass extra für die Durchführung des Projekts in unserem Haus Betten gesperrt werden“, heißt es aus der Pressestelle.
Durchgesetzt werden muss eine solche neue Betriebsvereinbarung am Ende ohne Betriebsrat: Wie bei kirchlichen Trägern üblich, hat das St.-Joseph-Stifts nur eine Mitarbeitendenvertretung mit weniger einklagbaren Rechten.
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