Modellprojekt fördert Abfalltrennung: Ganz egoistische Mülltrennung
Statt sich wie die Berliner über die Farbe der Tonnen zu streiten, schaffen Hennigsdorfer Fakten: Dank einer Müllschleuse zahlen Mieter nur den eigenen Müll.
Wenn Sabine Kostorz über Müll spricht, dann wird sie philosophisch. "Sie können für die Mülltrennung werben, wie Sie wollen. Erst wenn die Leute es am eigenen Geldbeutel spüren, fangen sie wirklich an zu sortieren. So funktioniert der Mensch." Als Vertriebsleiterin der Abfallwirtschafts-Union (AWU) Oberhavel spricht sie aus Erfahrung: Gemeinsam mit der Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft (HWB) hat sie 2003 bei rund 2.500 Wohnungen Müllschleusen eingeführt. Die Idee: Jeder soll nur noch für den Müll bezahlen, der bei ihm persönlich anfällt. Und siehe da: Der Restmüll reduzierte sich laut Kostorz auf einen Schlag um 70 Prozent.
Bei den Hennigsdorfer Müllschleusen ist oben auf dem Container ein schmaler Schacht mit Klappe. Will ein Mieter seinen Restmüll loswerden, muss er eine Chipkarte an einen Sensor halten, dann öffnet sich die Klappe, erklärt Olaf Glowatzki von der Geschäftsführung der HWB. Ein 10-Liter-Müllbeutel passt in den Schacht. Auf diese Weise wird jeder Einwurf registriert - und entsprechend berechnet.
Bemühungen, den Restmüll zu minimieren, gibt es auch in Berlin: Die landeseigene Berliner Stadtreinigung BSR und der private Entsorger Alba streiten derzeit, wer die Wertstoffe entsorgen darf, die keinen Grünen Punkt tragen und bisher in der grauen Tonne landen.
Die BSR kündigte an, mit einer neuen orangefarbenen Tonne Holz-, Plastik- und Gummiprodukte wie Plastikblumentöpfe, Quietschenten und alte Rasierapparate abzufangen. Alba wollte sich nicht aus diesem Geschäft drängen lassen und stellte vermehrt die Gelbe Tonne Plus auf, die auf dieselben Wertstoffe plus denen des Grünen Punkts abzielt.
Die Senatsverwaltung für Umwelt untersagte Alba daraufhin die Gelbe Tonne Plus ganz. Alba will das nicht hinnehmen. Das Unternehmen kündigte jetzt an, gegen die Untersagung der Gelben Tonne Plus gerichtlich vorzugehen. (all)
Eine Motivation, den Müll möglichst gut zu trennen: Denn je mehr Verpackungen die Mieter in die gelbe Tonne werfen, desto weniger müssen sie für ihren Restmüll zahlen. Früher fielen im Schnitt pro Person und Woche etwa 43 Liter Müll an, sagt Glowatzki. Seit der Einführung der Schleuse 2003 liege dieser Wert bei etwa 10 Litern.
Durch die Anschaffung und Wartung der Müllschleusen entstehen zunächst zusätzliche Festkosten, die auf die Mieter umgelegt werden. Damit sich der Aufwand lohnt, müssen mindestens 67 Mietparteien an einer Schleuse beteiligt sein, hat die HWB ausgerechnet. In Hennigsdorf überwiegen die Einsparungen: Durch die Reduzierung der Müllmenge wurden die Entsorgungskosten der 2.500 Wohnungen etwa um ein Viertel gesenkt.
Der Anreiz der Kostenersparnis kann allerdings auch zum Problem werden. "Es gibt Großwohngebiete, wo das System nicht funktioniert", räumt Glowatzki ein. In einer ihrer Siedlungen gebe es viele Mieter, die ihren Restmüll in die gelben Tonne werfen, um Geld zu sparen. Die Kosten für die Entsorgung dieses Mülls werden dann auf alle umgelegt. Wer in so einem Haus wohnt und Müll trennt, zieht den Kürzeren. Zwar fällt es aufgrund der Chipkarte auf, wenn jemand die Müllschleuse nie benutzt. Aber dagegen könne der Vermieter kaum etwas tun, sagt Glowatzki. "Wir sind schließlich keine Müllpolizei."
Ein weiterer Nebeneffekt: Es gibt keinen sozialen Ausgleich mehr. "Eine Familie mit Kindern und Katze hat aufgrund von Windeln und Katzenklo viel Restmüll. Sie zahlt bei der Müllschleuse drauf", sagt Kostorz.
Kommt die Müllschleuse als Modell auch für Berlin infrage? Die BSR glaubt das nicht. Es werde in Berlin bereits jetzt viel Müll getrennt, sagt Sprecherin Sabine Thümler. Deshalb sei der Spielraum für Einsparungen beim Restmüll und damit bei den Kosten deutlich geringer. "Das rechnet sich nicht. Wenn die Müllentsorgung wegen der Schleusen am Ende teurer würde, fände das niemand gut." Es habe vor Jahren bereits einen Test in einer Großwohnsiedlung gegeben - ohne Erfolg. "Es fehlt in Berlin die soziale Kontrolle. Da stellt immer jemand seinen Müllbeutel neben die Tonne oder sonst wo ab."
Kostorz von der AWU glaubt trotzdem, dass Müllschleusen auch in Berlin sinnvoll wären. "Oberstes Ziel ist doch die Abfallvermeidung und -verwertung. Und da gibt es nun mal nichts Besseres als Müllschleusen."
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