Modellprojekt Dekoloniale wird beendet: Kein Raum für Erinnerungskultur
Fünf Jahre erinnerte die „Dekoloniale“ an den deutschen Kolonialismus aus Betroffenen-Perspektive. Nun müssen die Initiativen ihre Räume aufgeben.
Für die „Dekoloniale“ hatten die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, Each One Teach One, Berlin Postkolonial und die Stiftung Stadtmuseum Berlin fünf Jahre zusammengearbeitet. Für die Initiativen ist es nämlich nicht irgendein Büro-Raum. „Wir bedauern sehr, dass das Mietverhältnis für den Standort Wilhelmstraße 92 nicht verlängert wurde. Wir hatten uns sehr dafür eingesetzt, dass der Vertrag verlängert wird. Wir begrüßen und unterstützen das Bemühen, einen dauerhaften Erinnerungsort an den Kolonialismus in Berlin zu schaffen“, teilten uns die Projektverantwortlichen schriftlich mit.
Denn das Modellprojekt hatte seine „Zentrale“ genau an dem Standort aufgemacht, an dem von 1884 bis 1885 die sogenannte „Afrika-Konferenz“ stattfand. An diesem Ort hatten die damaligen selbsternannten „Kolonial-Mächte“ bei der genannten Konferenz den afrikanischen Kontinent regelrecht unter sich aufgeteilt.
Das Stadtmuseum hatte sogar die Mittel für die weitere Anmietung der Räumlichkeiten in der Wilhelmstraße vom Senat zugesagt bekommen. Auch Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte sich im April noch dafür ausgesprochen, das Projekt langfristig sichern zu wollen.
Kein Grund für die Nicht-Verlängerung genannt
Am Montag war die Kulturverwaltung für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. „Wir sind auch vom Kultursenator enttäuscht, denn nach seinem mehrmaligen Bekenntnis zur Sicherung des Projektraumes hatten wir von ihm Unterstützung im Kampf für seinen Erhalt erwartet“, sagt Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial.
Einen Grund für die Nicht-Verlängerung des Mietvertrags habe die Immobilienfirma B.Ä.R.A.N.O. Gesellschaft für Grundbesitz Berlin GmbH & Co. KG nicht genannt. Die Nachricht, dass der Mietvertrag nicht verlängert werde, hatten die Betreiber:innen vor sechs Wochen erhalten.
Zwischenzeitlich hatte das Gestaltungsbüro Visual Intelligence versucht, die Räumlichkeiten anzumieten, und zunächst positive Resonanz vom Eigentümer erhalten. Doch dann kam an sie ebenfalls eine Absage – nach Angaben der Initiative sei die erfolgt, als die Verbindung zur „Dekoloniale“ deutlich wurde.
Aktuell gibt es eine Ausstellung, die man im Vorbeilaufen wie in einem Schaufenster sehen kann. Diese wurde vor erst vier Wochen installiert – und sollte langfristig bleiben. „Zurzeit suchen die Projektpartner der Dekoloniale nach einem alternativen Präsentationsort für die Schaufenster-Ausstellung 'Erinnern. Entschuldigen. Entschädigen.’ und hoffen, dass zeitnah eine Lösung gefunden werden kann. Wir freuen uns umso mehr, dass die Ausstellungen des diesjährigen Dekoloniale-Projekts im Museum Nikolaikirche in Mitte sowie im Afrikanischen Viertel in Wedding noch bis Mai 2025 und teilweise darüber hinaus zu sehen sind“, so die Projektverantwortlichen.
Mit der Aufgabe des „Dekoloniale“-Projektraumes gehe ein wichtiger Knotenpunkt im dünnen Netz der postkolonialen Erinnerungsorte der Stadt verloren, von dem aus sich der seit Jahrzehnten geforderte zentrale Lern- und Erinnerungsort Berlins konzipieren und denken ließe, beklagen die Projekte.
Kampf für den Weitererhalt
„Vor ein paar Wochen besuchte eine Delegation des Auswärtigen Amts die Ausstellung. Die Teilnehmer:innen, hauptsächlich Vertreter:innen der ehemals kolonialisierten Länder, bewunderten die Dekoloniale und wünschten sich eine Verlängerung“, so die Verantwortlichen.
Workshops, Ausstellungen und Führungen – das alles ist nun Geschichte. „Das Stadtmuseum Berlin und ihre Kooperationspartner*innen aus den afrikanischen und Schwarzen Communities verlieren damit die Möglichkeit, an dem Symbolort für Europas koloniale Unrechtsherrschaft in Afrika zugängliche und wirkungsvolle historisch-politische Bildungsarbeit zu leisten“, kritisiert Berlin Postkolonial.
Die Macher:innen der „Dekoloniale“ selbst hatten bei der Eröffnung ihrer Abschluss-Ausstellung Mitte November deutlich gemacht, dass sie gern weitermachen und ihre Arbeit auch auf bundesweit ausdehnen würden.
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