Mobilitätswende in Hamburger Bezirken: Zurück in die Auto-Zukunft
Ein Bündnis warnt vor der Wende zur autogerechten Stadt in Hamburg-Nord. Im Nachbarbezirk Wandsbek werden schon Poller für mehr Parkplätze rausgerissen.
Damit werde die in Hamburg gerade erst begonnene Mobilitätswende gestoppt. „Dazu sagen wir klar ‚Nein!‘“, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Aufruf von 13 Organisationen wie Greenpeace, Nabu, dem Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), aber auch dem Stadtteilrat Barmbek-Nord und dem Fussgänger-Verein. Verbesserungen für Fußgänger und Radfahrer dürften nicht „kurzsichtigen, machtpolitischen“ Interessen geopfert werden, Lebensqualität und Sicherheit der Menschen hätten „Vorrang vor der Bewahrung jedes einzelnen Parkplatzes“.
Die Gruppen fordern die Mitglieder der Bezirksversammlung auf, sich zur Mobilitätswende zu bekennen und „gegen die Rückkehr zur autogerechten Stadt“ zu stimmen. Sie sollten offen für neue Koalitionsgespräche sein.
Radroute soll gestoppt werden
Rechnerisch gibt es eine Mehrheit für Grüne, SPD und die Newcomer-Partei Volt. Doch die Grünen waren an den Koalitionsverhandlungen nach der Bezirkswahl im Mai nicht beteiligt. Stattdessen sprachen SPD, CDU, FDP und Volt miteinander. Die junge Partei stieg dann aber aus, weil die anderen Parteien nicht bereit waren, Parkplätze zugunsten von Rad- und Fußwegen aufzugeben. Das sei auf Druck eines CDU-Bundestagsabgeordneten geschehen, berichtet Christian Hinkelmann vom Online-Magazin „Nahverkehr Hamburg“.
Mit der nun anstehenden Wahl der SPD-Frau, die Michael-Werner Boelz vorzeitig ablösen würde, steht und fällt nach Ansicht von Beobachtern die Mobilitätswende in den Bezirken. Zwar könnten Bezirke überregionale Verkehrsprojekte nicht verhindern, aber bei Parkplätzen und bezirklichen Radwegen hätten sie „die Oberhand“.
Im Netz findet sich bereitsein Eckpunktepapier, auf das sich das nach seinen Farben Rot, Schwarz und Gelb auch Deutschland-Koalition genannte Parteien-Trio geeinigt hat. Darin heißt es unter anderem, man werde die „Radroute Plus ab Langenhorn nochmals kritisch überprüfen“ und erwäge, die Planungen zugunsten anderer sanierungsbedürftiger Radwege einzustellen.
Masterplan Parkplätze
Man setze sich für den Neubau von Quartiersgaragen sowie für eine „ehrliche Evaluierung des Anwohnerparkens“ ein und halte am Ausbaustopp für diese Gebiete ebenso fest wie an der „Leistungsfähigkeit der Hauptverkehrsstraßen“ mit dem Ziel, den Wirtschaftsverkehr nicht zu behindern und den Durchgangsverkehr aus den Wohngebieten herauszuhalten.
„Ich finde den Vorwurf des Rollbacks nicht gerechtfertigt“, sagt SPD-Bezirkfraktionschefin Tina Winter. „Wir machen in dem Papier deutlich, dass wir auch am Umweltverbund und der Förderung von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr weiter festhalten“. Es gehe aber darum, moderate Lösungen zu finden und zum Beispiel zu verhindern, dass Autos durch Wohngebiete statt auf Hauptverkehrsstraßen fahren.
Noch ist die Koalition nicht gebildet, noch sind die Pläne nicht offiziell. Die Kritiker befürchten das Schlimmste, nachdem auch SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher einen „Masterplan Parkplätze“ ankündigt hatte und zudem bekannt wurde, was SPD und FDP im Nachbarbezirk Wandsbek auch unter Beteiligung der Grünen planen. „Viele Menschen sind auf das Auto angewiesen“, heißt es im dortigen Koalitionsvertrag. Darauf müsse man Rücksicht nehmen.
Wandsbek reißt Eichenpfähle raus
Symbolträchtig wollen die Wandsbeker in den ersten 100 Tagen 300 neue Parkplätze schaffen. Dazu sollen an fünf Orten Poller und Eichenpfähle herausgerissen werden, damit „PKW-Stellplätze wiederhergestellt“ werden. Außerdem soll das Gehwegparken wieder erlaubt werden und an bestehenden Park+Ride-Plätzen sollen Stellplätze für Kurzparker und Anwohner geschaffen werden. Anwohnerparkzonen soll es in Wandsbek nicht geben. Tempo 30 soll Ausnahme bleiben.
Die SPD wirbt in ihrem Programm für die Hamburg-Wahl für einen „Masterplan Parken“. Für Gebiete mit hohem Parkdruck soll es ein Moratorium beim Abbau von Parkplätzen geben, bis überzeugende Konzepte vorliegen. Das könne der Bau von Quartiergaragen sein oder die regionale Wiedereinführung einer Stellplatzpflicht beim Bau von neuen Wohnungen. „Wir setzen uns mit der Lebenssituation der Menschen auseinander“, sagt der SPD-Verkehrexperte Ole Buschhüter. „Der Verzicht auf Stellplätze führt nicht dazu, dass die Leute, die in neue Wohnungen einziehen, ohne Auto kommen“.
In ihrem Appell drängen die Initiativen darauf, bei der Mobilitätswende nicht nachzulassen. „Politik muss Verantwortung für die Zukunft übernehmen“, sagt Cajus Priun vom Hamburger ADFC. Dazu müsse der Umbau der autogerechten Stadt der 1970er Jahre hin zu einer „nachhaltigen, resilienten Stadtstruktur“ konsequent vorangetrieben werden. Der Bau von Kfz-Parkplätzen und die Bevorzugung des Autoverkehrs seien „keine Antworten auf die Klimakrise“.
Auto-Kuschelkurs der SPD
Auch die Gruppe „Parents for Future“ unterstützt den Aufruf. Eine Verkehrspolitik, die das Auto bevorzugt, gefährde nicht nur Kinder und ältere Menschen, sondern schade mittelfristig allen, sagt ihr Sprecher Christian Wöhrl. Denn wo eine Stadt dem Auto viel Raum auf versiegelten Flächen gibt, „heizt sie sich schneller auf und nimmt weniger Niederschlag auf“. Das sei das Gegenteil von dem, was angesichts zunehmender Wetterextreme in der Stadtplanung nötig wäre.
Manch einer im Umfeld der Grünen vermutet sogar eine größere Strategie hinter dem „neuen Autokuschelkurs der Hamburger SPD“, schreibt Christian Hinkelmann im Online-Magazin „Nahverkehr Hamburg“. Diese wolle sich für eine große Koalition nach der Bürgerschaftswahl öffnen und Stimmen von CDU-Wählern sichern. Aus der SPD heraus werden solche Ambitionen dementiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt