: Mitterrand will Verfassung ändern
■ Verkürzung des Präsidentschaftsmandats und Stärkung des Parlaments angestrebt
Paris (afp) — Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand will im kommenden Jahr die Verfassung der Fünften Republik grundlegend reformieren. Wie er am Sonntag abend in einem Fernsehinterview ankündigte, sollen die Wähler per Referendum und die beiden Kammern des Parlaments über die Verkürzung des Präsidentschaftsmandates von derzeit sieben auf fünf Jahre sowie die Stärkung der Nationalversammlung und des Verfassungsrates entscheiden. Außerdem soll das derzeit geltende Mehrheitswahlrecht mit Elementen der Verhältniswahl ergänzt werden. Der Zeitpunkt der Reform steht noch nicht fest, doch dürfte sie im zweiten Halbjahr 1992 stattfinden, das heißt zwischen den Regionalwahlen im kommenden Frühjahr und den Parlamentswahlen im Frühjahr 1993.
Mitterrand ließ allerdings offen, ob die Verkürzung des Mandats auch für ihn gelten soll. Mitterrand, der 1988 wiedergewählt worden war, erinnerte daran, daß sein Mandat verfassungsrechtlich 1995 ausläuft, räumte jedoch andererseits ein, vierzehn Jahre seien „eine lange Zeit“. Den Übergang zu einem Präsidialsystem ohne Premierminister nach amerikanischem Muster, den kürzlich die liberale Politikerin Simone Veil vorgeschlagen hatte, lehnte er dagegen ab. Er denkt eher an eine neue Arbeitsteilung zwischen Staats- und Regierungschef. Obwohl Mitterrand erkennen ließ, daß eine Niederlage der Sozialisten bei den Parlamentswahlen von 1993 für ihn kein Grund zum Rücktritt sei und er sich auch einer erneuten „Kohabitation“ mit einem Regierungschef aus dem rechten Lager stellen würde, will er nach Auffassung der Opposition mit der Verfassungsreform die drohenden Wahlschlappen der Sozialisten in Grenzen halten. Allen Umfragen zufolge gilt die bürgerlich-konservative Opposition als Sieger für die Wahlen von 1993, während Mitterrands persönliche Popularitätskurve auf 30 Prozent zurückging. Durch die Einführung einer Portion Verhältniswahl in das geltende Mehrheitswahlrecht würde sowohl den Grünen wie der rechtsextremen „Front National“, die beide mit einem Stimmenanteil von mindestens 15 Prozent rechnen können, der Weg in die Nationalversammlung geebnet. Damit böte sich für die Sozialisten bei den Grünen ein möglicher Bündnispartner, während die bürgerliche Opposition aus Liberalen und Neogaullisten durch den Einzug rechtsextremer Abgeordneter ins Parlment zahlenmäßig geschwächt und keine absolute Mehrheit erreichen würde.
Politische Beobachter bescheinigten dem Präsidenten, mit seiner Reform einen raffinierten Schachzug getan zu haben. Indem er mit der Verkürzung des Präsidentschaftsmandats eine seit Jahren gestellte Forderung der Opposition aufgreift, wird diese gezwungenermaßen seinem Reformvorschlag zustimmen müssen und damit indirekt auch die Autorität des Präsidenten stärken. Außerdem läßt die Mandatsverkürzung ihm die Möglichkeit offen, je nach Entwicklung der politischen Konjunktur das Referendum auf sich zu beziehen und mit einem „ehrenvollen Abgang“ vorzeitig aus dem Amt zu scheiden. Die Opposition bezeichnete die Reform als wahltaktische Manipulation und erinnerte daran, daß der Gaullist Georges Pompidou schon vor 1973 eine Herabsetzung der Mandatsdauer vorgeschlagen hatte. Mit der Wahlrechtsreform wolle Mitterrand die „Spielregeln verändern, nachdem die Karten ausgeteilt sind“, hieß es bei Neogaullisten. Daß das Parlament heute seine Aufgabe nicht voll erfüllen könne, weil die Minderheitsregierung ihre Gesetze dank eines entsprechenden Verfassungsartikels auch ohne Abstimmung durchbringen kann, sei allein Schuld der Sozialisten, erklärte die liberale UDF. Die seit 1958 geltende Verfassung der Fünften Republik ist bisher fünfmal abgeändert worden. Die einschneidendste Reform war die Direktwahl des Präsidenten, über die General de Gaulle 1962 per Referendum entscheiden ließ.
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