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Mitsprache ist oftmals unerwünscht

Durch Einschüchterung von Kandidat*innen versuchen Arbeitgeber*innen immer wieder, Betriebsratswahlen zu verhindern. Das ist zwar strafbar, wird aber selten verfolgt. Gerade in kleinen Betrieben sind Betriebsräte Mangelware – dabei sind sie wichtig, um Arbeitnehmer*innenrechte durchzusetzen

Von Joachim Göres

In Firmen ab fünf Mitarbeiter*innen haben Beschäftigte das Recht, einen Betriebsrat zu gründen. Tatsächlich gibt es aber nur in etwa jedem zehnten Unternehmen einen Betriebsrat. Nur fünf Prozent aller Betriebe mit bis zu 50 Angestellten haben eine gewählte Interessenvertretung, bei Konzernen mit mehr als 500 Beschäftigten liegt der Anteil dagegen bei 87 Prozent. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen ist es schwierig, einen Betriebsrat neu zu gründen – das ist ein Ergebnis einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Eine Befragung von 172 Geschäftsstellen der Gewerkschaften IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in ganz Deutschland ergab, dass zwischen 2016 und 2018 in 185 Unternehmen die Firmeninhaber*innen oder das Management versucht haben, eine Betriebsratswahl zu verhindern. Vor allem in der Nahrungsmittelindustrie und Gastronomie treffen Arbeitnehmer*innen auf Widerstand der Arbeitgeber*innen, mehr als jede zweite Wahl wurde dort behindert.

Zu den Hauptmethoden zählen die Einschüchterung der Kandidat*innen (69 Prozent) und die Verhinderung der Bestellung eines Wahlvorstandes (66 Prozent). In fast jedem zweiten Fall nehmen Arbeitgeber dabei die Hilfe von spezialisierten Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen in Anspruch. Die Furcht vor beruflichen Nachteilen lässt nicht wenige Engagierte, die sich für ihre Kolleg*innen einsetzen wollen, zurückschrecken – in 51 Fällen scheiterte die Wahl unter dem Druck des Arbeitgebers.

In der ostdeutschen Privatwirtschaft arbeiteten im vergangenen Jahr 36 Prozent der Beschäftigten in Unternehmen mit einem Betriebsrat (1996: 43 Prozent), in Westdeutschland liegt der Anteil bei 41 Prozent (1996: 51 Prozent).

Die erfolgreiche Behinderung einer Betriebsratswahl ist laut Betriebsverfassungsgesetz strafbar. Doch die Staatsanwaltschaft wird nur aktiv, wenn Arbeitnehmer*innen eine Anzeige stellen, Verurteilungen sind sehr selten. „In 30 Prozent der Betriebsratswahlen in unseren Branchen gab es Behinderungen. Die Staatsanwaltschaften stellen bei Klagen die Verfahren schnell ein. Das geht so nicht“, kritisiert IG-BCE-Vorstandsmitglied Karin Erhard.

Anders sieht es bei etablierten Betriebsräten aus. „Wir haben bei uns eine Kultur der Mitbestimmung, ein Betriebsrat besteht seit Jahrzehnten“, sagt Lutz Pscherer, Gesamtbetriebsrat bei der 50Hertz Transmission GmbH, die mit ihrem Stromübertragungsnetz 18 Millionen Menschen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und fünf weiteren Bundesländern mit Strom versorgt. Bei dem Unternehmen arbeiten rund 1.300 Menschen an zehn Standorten, unter anderem in Hamburg, Güstrow und Greifswald.

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung seien allerdings mehr Rechte für Arbeitnehmervertreter*innen nötig, damit sie Einfluss auf den grundlegenden Wandel ihrer Arbeitsplätze nehmen können. „Die IT-Abteilung muss uns informieren, wohin die Entwicklung geht. Ich will bei der Transformation mitbestimmen“, sagt Pscherer. Bei Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmer*innen besteht der gesetzliche Anspruch auf Vertretung im Aufsichtsrat, ab 2.000 Beschäftigten soll dieser paritätisch besetzt sein. Laut Hans-Böckler-Stiftung ignorieren oder unterlaufen allerdings Konzerne wie Rossmann, Tönnies, Aldi, Lidl, Zalando und die Meyer-Werft diese Vorgaben.

Johanna Wenkebach, Juristin beim Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht, fordert Reformen im Betriebsverfassungsgesetz. „Es gibt Lieferdienstfahrer, die ihre Aufträge per App bekommen, jeder arbeitet für sich, eine Firmenzentrale existiert nicht. Ein Betriebsrat musste beim Arbeitsgericht klagen, um Adressen der Mitarbeiter*innen zu bekommen, damit er mit ihnen Kontakt aufnehmen kann“, sagt sie und fügt hinzu: „Solche Arbeitsverhältnisse nehmen zu und deshalb braucht es ein Zugangsrecht für Betriebsräte.“ Auch fehle beim Thema Homeoffice ein Mitbestimmungsrecht bei der Frage, wo und unter welchen Bedingungen die Arbeitsleistung erbracht werden soll.

Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Uni Bremen, kritisiert, dass derzeit Leiharbeiter*innen und Arbeitnehmer*innen mit Werkverträgen nicht in einen Betriebsrat gewählt werden dürfen. Das Recht müsse so geändert werden, dass ein Betriebsrat auch aus dieser Gruppen kommen könne.

Was eine Interessenvertretung bewirken kann, zeigt das Beispiel des Keksherstellers Bahlsen. In seinem Werk in Varel wurden Frauen jahrelang für die identische Arbeit schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Der Betriebsrat konnte nachweisen, dass rund 100 Mitarbeiterinnen hinsichtlich ihres Tarifvertrages nicht nach ihrer ausgeübten Tätigkeit eingruppiert waren. Durch die Einordnung in eine neue Lohngruppe verdienen sie nun brutto 200 Euro im Monat mehr. „Es ist toll zu sehen, wie sich unsere Arbeit bezahlt gemacht hat“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Manuela Haase, die kürzlich in Bonn mit dem Deutschen Betriebsrätepreis ausgezeichnet wurde.

Beschäftigte mit einem Betriebsrat haben mehr Rechte bei Fragen zur Arbeitszeit und Urlaub, Arbeitsschutz, Lohngestaltung, Einstellung und Versetzung, Eingruppierung sowie Kündigung. Nach einer Befragung der Hans-Böckler-Stiftung unter mehr als 6.300 Beschäftigten zu den Auswirkungen der Coronakrise gab es in Betrieben ohne Betriebsrat deutlich mehr Angst vor Entlassungen sowie weniger Regelungen zur Arbeit im Homeoffice als in Unternehmen mit Interessenvertretung. Und noch ein Argument: Betriebsratsmitglieder unterliegen einem besonderen Kündigungsschutz. Die nächsten regulären Betriebsratswahlen finden vom März bis Mai 2022 statt.

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