Mitbestimmung bei Alnatura: Fair sind hier nur die Produkte
In einer Bremer Filiale der Biosupermarktkette scheitert der Versuch, eine Betriebsratswahl einzuleiten – an der Geschäftsleitung, sagen Beschäftigte.
Das Betriebsklima sei immer schlechter geworden, erklärt einer der Filial-Mitarbeiter der taz. In den letzten Monaten sei der Druck gestiegen, es habe Versetzungen und Entlassungen gegeben. An jenem Abend vor gut einer Woche aber scheiterte die Aufstellung eines Wahlvorstand für die Betriebsratswahl. Durch das Wirken der Filial- und Gebietsleitung, sagen mehrere MitarbeiterInnen. Namentlich zitieren lassen möchte sich hierzu niemand – aus Angst vor Konsequenzen.
Bioläden, die mit „Nachhaltigkeit“ und „fair“ gehandelten Produkten werben und gleichzeitig Arbeitnehmerrechte mit Füßen treten? Für Gewerkschafter ist das keine Überraschung und auch nicht neu. „Die hohe Kompetenz bei der Qualität der Ware im Biohandel geht nicht automatisch mit einer Kompetenz in sozialen Standards einher“, sagt Hubert Thiermeyer, Verdi-Landesleiter für den Fachbereich Handel in Bayern. Arbeitnehmerrechte müssten hart erkämpft werden – in der Biobranche genauso wie im konventionellen Handel.
Es gibt allerdings einen Unterschied: In Bioläden werde den Kunden „das Gefühl gegeben, sozial unterwegs zu sein“, sagt Thiermeyer. „Es stünde der Biobranche gut zu Gesicht, ihren Vorbildcharakter auch bei den Sozialstandards einzuhalten.“
Dumpinglohn-Vorwürfe gegen Denn’s
Der Branchenführer macht das Gegenteil vor: Die Dennree-Gruppe hat ihren Sitz im bayerischen Töpen und drängt mit ihren Denn’s-Filialen in die gleichen Städte wie Alnatura. Seit der Gründung 2003 wuchs das Unternehmen auf über 180 Biosupermärkte in ganz Deutschland an. Firmengründer Thomas Greim wird vorgeworfen, den Aufstieg zur Nummer eins über Dumpinglöhne und Arbeitszeitverstöße auf dem Rücken seiner MitarbeiterInnen erstritten zu haben.
Die Biosupermarktkette Alnatura hingegen hat ihren Lohn 2010 immerhin an den Tarif angeglichen – wenn auch erst nach Berichten über die bis dahin niedrigen Löhne. Bei einem Nettojahresumsatz von 689 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2013/2014 und 98 Filialen gibt es jedoch nur in einer Filiale in Freiburg einen Betriebsrat. Käme nun in Bremen ein weiterer hinzu, dürfte ein Gesamtbetriebsrat gebildet werden, der sich dann auch um Belange kümmern könnte, die das Gesamtunternehmen angehen.
Doch gleich nachdem in der Filiale mit Aushängen dazu aufgerufen worden war, einen Wahlvorstand für die Betriebsratswahl zu bestimmen, hätten Filialleitungsteam und Gebietsleiter zu Mitarbeitergesprächen geladen und ihren Unmut geäußert, sagen FilialmitarbeiterInnen. Am Wahltag selbst habe der Gebietsleiter dann während der Versammlung vor dem Laden gewartet. Anders als die Mitglieder der Filialleitung gilt er offiziell als „leitender Angestellter“ und darf an der Wahl nicht teilnehmen.
Hubert Thiermeyer, Verdi
In einer Pause sei mindestens ein Mitglied der Filialleitung zu ihm gegangen und habe sich abgesprochen, berichten mehrere MitarbeiterInnen. Danach habe die Filialleitung drei weitere KandidatInnen aufgestellt, woraufhin niemand die erforderliche Stimmenanzahl bekam. „Die Wahl wurde durch taktische Spielchen verhindert“, sagt Kai Wargalla, die in der Filiale arbeitet.
Alnatura-Sprecherin Stefanie Neumann beschreibt das anders: Die Mitarbeiter der Filiale hätten sich gegen die Wahl eines Betriebsrats ausgesprochen. Man stehe dem Wunsch aber „selbstverständlich offen gegenüber“. Interessenvertretungen bildeten sich dann, „wenn das Gefühl überwiegt, dass die Interessen der Mitarbeiter nicht ausreichend berücksichtigt werden“, so Neumann. „Dass dies jetzt in Bremen nach Auffassung einiger Mitarbeiter der Fall ist, bedauern wir sehr.“
Für Verdi-Sprecherin Eva Völpel ist das „eine durchsichtige Argumentation“, die auch aus dem Online- und Versandhandel bekannt sei: „Amazon etwa war erst gegen Betriebsräte, jetzt, wo es sie gibt, ist man gegen Tarifverhandlungen mit einer Gewerkschaft.“ Letztlich wolle man die Rechte der Beschäftigten und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten beschneiden. „Wenn es so viel Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten gibt, warum respektiert man dann nicht ihre Forderungen und Rechte?“, fragt Völpel. Verdi will in Bremen den Wahlvorstand nun über das Arbeitsgericht einsetzen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts