■ Vorschlag: Mit echtem Fleisch: Mittelalterliche Spektakel in Reinickendorf
Man mußte das Mittelalter schon ein bißchen suchen, auf diesem Straßenfest mit weiterhin ungehindertem Autoverkehr. Aber wenn man darauf stieß, nach endlosen Textilständen, Bier- und Grillbuden mit „echt thyringischen Roster“ und einem famosen Stand namens „Beauty Collection“ mit allem, was ein weibliches Herz begehren soll, dann wurde man reichlich belohnt. In mittelalterlichen Unterständen saßen mittelalterlich gekleidete Leute und verrichteten alltägliche Dinge aus jener Zeit. Die Nahrung war fleischlastig, also schnitt ein Landmann Speck für das Abendbrot zurecht. Pferde waren als Fortbewegungsmittel und Arbeitstiere unentbehrlich, deswegen schmiedete ein zierlicher Mann über offenem Feuer und mit Hammer und Amboß Hufeisen. Aber der Höhepunkt waren natürlich die Ritterkämpfe. Kinder erlebten hautnah, wie wilde Kerle in Ritterrüstungen mit Vorschlaghämmern, Äxten und Schwertern ziemlich echt aufeinander losgingen. Begeisterter Applaus. Auf der anderen Straßenseite hielt Stadtrat Evers eine launige Rede vor dem obligatem Bierfaßanstich: „Mittelalterliches hat das Märkische Viertel nicht zu bieten, aber die Häuser der Gesobau (Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau) tun's auch!“ Dazu spielte eine Berliner Blaskapelle mit echt mittelalterlichen Pickelhauben prima auf.
Einige Stunden später gab es im Bezirk Mitte eine andere Mittelalterveranstaltung. Wie sich auf Nachfrage leider herausstellte, gehört sie zum Standartprogramm eines Lokals im Middle-Ages-Style namens „Excalibur“. Dort sitzt man bei schlechter Luft in einem düsteren Keller und kann einen Halben zu sieben Mark bestellen. Nebenbei wird man dann mit Dudelsackweisen und anderem lauten Getöse unterhalten. Da war es nebenan bei einer Vernissage der Galerie „eigen + art“ schöner. Es gab einen Becher Weißwein, und einige Drahtgeflechtarbeiten korrespondierten sogar mit ritterlichen Kettenhemden. Katrin Schings
Mittelaltermarkt im Märkischen Museum, Reinickendorf
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