Mit der Bürokratie auf du und du: Erstarrter Mann mit Meldebogen
■ Das Einwohnermeldeamt spart: Formulare statt Mietvertrag
Dreierlei Freuden dürfen Neubremer in den Amtsstuben der Hansestadt mit Fug und Recht erwarten. Einen gesunden Strom von Emphatie (als ein Gemisch von Mitleid, nachgetragenem Haß und Schadensfreude); ein gelindes Maß an sachlich begründeter Unvernunft; zuvörderst aber wohl den Genuß von Endlichkeit – den wir in unserer Lebenswelt sonst nur noch vor der geschlossenen Haustür erfahren dürfen, wenn der Schlüssel drinnen steckt.
Das Bremer Einwohnermeldeamt erfüllt so gesehen so manchen Bürgertraum. Wer sich beispielsweise mit dem Mietvertrag unterm Arm im Meldeamt am Bahnhof frohlockend als neuer Mitbürger präsentieren will, erstürmt drei Treppenstufen – und wird am Eingang zum Wartesaal abrupt gebremst: mit der dringlichen Bitte, vor Betreten der Amtsräume sich vom Vermieter noch eine klitzekleine Bestätigung darüber ausfüllen zu lassen, daß man auch wirklich der neue Wohnzinszahler sei: Der Mietvertrag reiche nicht aus. Mit Ausrufezeichen. Und Formulare gibt es auch.
Kann nicht wahr sein. Hämisch aber grinst der Punk mit Nummer 26 im gutgefüllten Wartesaal. „Det mußte ausfülln lassn. Vom Vamieta.“Ein peripherer Vielvölkerstaat im Wartezimmer nickt ihm Beifall - Klaro, Si Si, Wollja, So isses - und begutachtet mit ethnologischer Freundlichkeit den erstarrten 'Mann mit Meldebogen': ein entblödetes Ich.
Auch die nette Vermieterin, der man mit heißen Socken zustrebt, bestätigt gern: „Ja, sowas mußte ich gestern schon mal ausfüllen“und blickt wohlwollend auf den erregten Neuansiedler: „Wissen Sie, das ist, weil die Mietverträge heutzutage so kompliziert sind. Da steigt keiner mehr so richtig durch in den Meldeämtern“– aber der kleine staatsbürgerliche Mehraufwand sei im Zug der Rationalisierungsmaßnahmen in den Behörden wohl verständlich.
So viel Ratio wiederum will im Meldeamt die mütterliche Angestellte nicht bestätigen und schiebt das Problem nach oben. In die Anordnungsetagen. Dort aber will man mit der Lappalie auch nicht behelligt werden: „Das zieh ich nicht an mich. Das sind keine so wesentlichen Fragen“, rückt für den Neubremer ein Herr Luft vom Senat fürs Innere die Hierarchien zurecht. Den schönen neuen Mietvertrag will die Dame vom Amt denn auch gar nicht sehen; das weitgehend formlose Formular mit dem Vermieter-Otto unten drauf reicht ihr vollkommen. Und fröhlich bestätigt sie, daß manch einer das Problem der heißen Socken hier leichtfüßig umgeht: Den Meldebogen unterschreibt er einfach – an Stelle seines ungestörten Hausherrn – bei einer Portion pommes frites am kommunikativen Bremer Hauptbahnhof. N.G.
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