: Mit der Axt
■ Spröde: Alfred Hackensbergers Debüterzählung „mord:lust“
Eine Frau, bisher vollkommen unbescholten, erschlägt ohne erkennbare Vorwarnung und ohne, daß irgend etwas Besonderes vorgefallen wäre, ihren Mann und ihre beiden Kinder. Mit der Axt. Im eigenen Haus. Grausam, nicht wahr? So mag uns normalen Medienbenutzern diese Tat – naturgemäß – erscheinen.
Einerseits. Andererseits erscheint so eine Tat aber auch seltsam vertraut. Solche Fälle kennt man – oder glaubt sie doch zu kennen – aus der Boulevardpresse und den abendlichen Fernsehsendungen mit diesen aufgeregten Moderatengesichtern. Vollends bekannt sind die medialen Taktiken, die die Sensationsberichterstattung in diesen Fällen anwendet. Mögliche Augenzeugen werden ausgehorcht. Nachbarn dürfen in die laufende Kamera weinen. Fotos von Täter und Opfern werden publiziert. Autoritäten, kenntlich gemacht an Doktorentiteln oder Buchveröffentlichungen zum Thema, werden nach den Gründen für die Tat befragt. Es ist, als ob so eine Tat ein Loch gebiert, das gefüllt werden muß mit Ursachen und Bildern.
Das Büchlein mord:lust, die Debüterzählung des in Hamburg lebenden Journalisten Alfred Hackensberger, schlägt in aller Unschuld eine andere Vorgehensweise vor. Es geht von einem Mord der geschilderten Art aus. Aber es läßt die Tat gleichsam auf sich beruhen und schiebt nicht diesen ganz Schwanz von Erklärungen hinterher, die die heutige Medienöffentlichkeit ständig zu generieren scheint.
In Hackensbergers Buch dringt der Erzählfluß nicht in die Psychologie der Täterin ein. Er stellt nicht die Opfer vor. Über „warum“ und „wieso“ macht sich der Autor auch recht wenig Gedanken. Statt dessen konkretisiert sich die Erzählung in den textlichen Dokumenten, die so eine Tat nach sich zieht. Hart gegeneinandergeschnitten folgen Auszüge aus Obduktionsberichten, knappe Schilderungen des Gefängnisalltags, verwirrte bis perverse Briefe an die Täterin sowie deren lakonische innere Monologe.
Ein Mord ist ein Mord ist ein Mord. In manchen Stellen kommt Hackensberger an eine achselzuckende und gerade deshalb kaum zu ertragende Sicht heran. Aber als schrecke er denn doch vor der spröden Provokation zurück, die Täterin noch nicht einmal zu verteidigen, sondern die Tat für sich selbst stehen zu lassen, überhöht er Tat und Täterin an anderen Stellen dann doch. Es steckt schon im Untertitel des Buchs: Eine Heilsgeschichte. Da ist dann eben doch die ganze Tradition der amoralischen Übertretungsliteratur drin – und die Provokation knistert letztlich eben doch parpiernen.
Jedoch beweist der 35jährige Hackensberger Sinn für erzählerische Ökonomie. Andere – gerade Hamburger – Autoren hätten aus der Vorlage wieder einen dieser verdammt originellen Krimis gemixt und damit 300 Seiten gefüllt. Bei Hackensberger stehen jedenfalls zumindest zehn Seiten, die knallen.
Dirk Knipphals
Alfred Hackensberger: mord:lust. Eine Heilsgeschichte; Edition Isele, 85 Seiten, 22,– Mark
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