: Mit den Augen riechen
■ Aus Moskau heimgekehrte bremische Archivalien, im Staatsarchiv ausgestellt
Oh, wie es hier röche, wenn nicht die gläsernen Vitrinenwänden die Sinne abwiesen. Es röche nach Tier, nach den dicken Batzen Pergament, in welchen fast alles festgehalten, was sich an politisch-juristischen, an verwaltungstechnischen und demographischen Veränderungen in der Stadt und der Diözese Bremen in den letzten sieben Jahrhunderten so ereignet hat. Und nach den krachledernen Einbänden, die alten Schwarten zusammenhalten. Außerdem röche es nach Staub und Moder, 700 Jahre sind schließlich kein Pappenstiel und die lange Lagerung unter Gleichaltrigen hinterläßt ihre Spuren. Und nach der großen, weiten Welt, denn die dicken Geschichts-Überbleibsel haben schließlich eine lange Reise hinter sich.
Der spektakulärste Teil dieser Aufzeichnungen, die im Krieg aus dem bombengefährdeten Bremer Staatsarchiv ausgelagert worden, nach Kriegsende in die Sowjetunion transportiert und schließlich, im Oktober 1990, zurück nach Bremen ins Staatsarchiv gelangt waren, ist als Ausstellung „Zurück aus Moskau“ bis zum 21.12. im Staatsarchiv zu sehen. Das reicht von der Paulskloster-Urkunde von 1139, der
Schloßregister aus dem 15. JahrhundertFoto: Jörg Oberheide
ältesten erhaltenen Bremer Urkunde überhaupt, über das älteste Bürgerbuch und die vielen kaiserlichen und päpstlichen Urkunden bis zur Bremer Kriminalgeschichte des Blutschreibers Friedrich Stöver, der im 18. Jahrhundert, 400 Jahre nach Gutenberg fein säuberlich seine Buch
staben zeichnete und sein Werk durch ganzseitige Zeichnungen und Aquarelle schmückte.
Eine Ausstellung des genauen Blicks, der sich an den kunstvoll gleichmäßig gezogenen Schriften festsaugt, an den fein ziselierten Verzierungen der Initialen, den kleinen Kunststücken, mit denen
die Schreiber zu Beginn jeden Abschnittes dem Ebenmaß der Schrift eine persönliche Duftnote abgetrotzt haben.
Und die kann man, trotz all der Jahre, des Staubs und der Reisen und trotz der gläsernen Mauern, immer noch riechen.
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