Mit dem Rad zur Klimakonferenz: Auf eine Tasse Cay in der Türkei
Radreisende sind in Anatolien eine Seltenheit. In Teestuben voller Männer genießt unser Autor die große Gastfreundschaft.
![Männer trinken auf einer Fähre in Istanbul Tee Männer trinken auf einer Fähre in Istanbul Tee](https://taz.de/picture/7268874/14/3196038-1.jpeg)
I ch bin in der Türkei, in Anatolien, wie der asiatische Teil des Landes bezeichnet wird. Das Land von Kemal Atatürk, das Land der prachtvollen Moscheen, aus denen fünfmal täglich der Muezzin zum Gebet ruft, und das Land mit dem höchsten Teekonsum der Welt. Der rötliche Cay ist das unangefochtene Nationalgetränk, der soziale Kleber, der die türkische Gesellschaft verbindet und mit der ich auf dieser Reise wie bislang in keinem anderen Land in Berührung komme.
In der Türkei sind Radreisende eine Seltenheit, ganz besonders im einsamen Hinterland, durch das ich fahre, um den Verkehr der Hauptstraßen zu vermeiden. Durch abgeschiedenste Dörfer mit nicht einmal hundert Einwohnern, in die sich vermutlich noch nie ein Radreisender verirrt hat. Dennoch sind diese Orte nicht verlassen. Oft sind die kleinen Dorfplätze von mehreren erhöhten Teestuben eingekreist, von denen mich jedes Mal ein paar Dutzend Tee trinkende ältere Herren anstarren.
Sobald ich freundlich den Kopf nicke und mit „Merhaba“ grüße, ist die Freude groß. Dann ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis mich jemand zum Cay rüberwinkt und wir uns gegenseitig unsere Geschichten erzählen – mit Händen und Füßen und den wenigen Wörtern Türkisch, die ich mir angeeignet habe. Die Menschen sind herzlich, offen, neugierig, großzügig und allzeit hilfsbereit. Man kümmert sich um Gäste – das wird mir in der Türkei schon auf den ersten Kilometern deutlich.
Ich lasse mich auf diese Begegnungen gerne ein, bilden sie doch die Geschichten, die am Ende der Reise in Erinnerung bleiben werden. Auf Social Media schwärme ich von der „Gastfreundschaft der Menschen“, bis mich Nachrichten von Frauen erreichen, die mir schreiben, dass sie an die Türkei weniger gute Erinnerungen hätten und ich als Mann einfach privilegiert sei.
Zugang dank meines Geschlechts?
Und tatsächlich: Wenn ich ehrlich bin, müsste ich von der „Gastfreundschaft der Männer gegenüber einem Mann“ sprechen, denn es sind ausnahmslos sie, die in den Teestuben zu sehen sind, die mich einladen oder auf der Straße ansprechen. Das Bewusstsein, dass eine solche Reise aus der Sicht nicht männlich gelesener Personen anders erlebt wird und mein Geschlecht mir Zugänge verschafft, die anderen verwehrt bleiben, wurde bei mir in den letzten Tagen noch einmal geschärft.
Und auch die Staatsangehörigkeit spielt eine Rolle. Wann immer ich auf die Frage, woher ich denn komme, mit „Almanya“ antworte, herrscht Begeisterung. Deutschland hat in der Türkei ein gutes Image. Viele haben Bekannte und Familie dort oder haben sogar selbst eine Zeitlang bei uns gelebt und erzählen mir ihre Geschichte, die sie mit Deutschland verbinden.
Der zweite Monat der Reise ist nun vorbei und ich fahre immer weiter nach Osten. Der Herbst kommt in schnellen Schritten. Tagsüber ist es noch angenehm warm, aber nachts wird es empfindlich frisch. Die nächsten Tage klettere ich auf über 1.500 Meter und biege dann leicht südlich nach Kappadokien ab, eine Region, die für ihre bizarr zerklüfteten Felslandschaften bekannt ist und für ihre weltberühmten Heißluftballons.
In einem Monat möchte ich dann in der georgischen Hauptstadt Tiflis sein, um die wegweisenden Parlamentswahlen hautnah mitzuerleben.
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