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Mit Lion Air in die Stadt der Tamil Tigers

Die Stadt Jaffna im Norden Sri Lankas, einst Hochburg der separatistischen Tamil Tigers, ist nur per Flugzeug zu erreichen. Zwar kontrollieren heute Regierungstruppen die Stadt, doch sind sie nicht vollständig Herr der Lage  ■ Aus Jaffna Walter Keller

Morgendämmerung am Rande des Flugplatzes von Ratmalana, südlich von Colombo. Die Passagiere warten darauf, daß der Flug nach Jaffna, der Tamilenhochburg im Norden Sri Lankas, bald abgefertigt wird. Vieles ist hier improvisiert. Vor dem Büro der kleinen, privaten Fluggesellschaft Lion Air stapelt sich Gepäck, das von bereitstehenden Soldaten inspiziert wird. Bis in die letzte Ecke werden die Taschen und Koffer der 40 tamilischen Reisenden untersucht. Andere Soldaten kontrollieren die Reisegenehmigungen der Fluggäste. Ohne den Passierschein, die „clearance“, geht gar nichts. Wer nach Jaffna will, muß diese zuvor beim Verteidigungsministerium beantragen. Ein angespannt wirkender Tamile berichtet, daß er sechs Wochen warten mußte, bis er die Genehmigung erhielt.

Eine Stunde später bringt ein Bus die Fluggäste direkt zur bereitstehenden Maschine, an der noch die letzten Vorbereitungen für den Start getätigt werden. Die beiden Mechaniker in Badeschlappen unterhalten sich mit der Crew der alten Antonow 24. Man spricht Russisch, weil sowohl Pilot und Bordingenieur als auch das technische Bodenpersonal von Lion Air aus der Ukraine angeheuert wurden.

Die 5.700 Rupien – zwei Monatsgehälter eines Lehrers – sind ein stolzer Preis für diesen Flug. Früher konnte man die Strecke für weniger als hundert Rupien per Bus oder Bahn zurücklegen. Aber diese Verkehrsmittel pendeln schon seit vielen Jahren nicht mehr zwischen Colombo und Jaffna, allenfalls nur noch bis in das 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegene Vavuniya. Ab dort fehlen die Bahngleise, die für den Bau von Bunkern abmontiert wurden. Und um die Kontrolle über die Fernstraße tobt seit eineinhalb Jahren ein mörderischer Buschkrieg zwischen Regierungssoldaten und der tamilischen Befreiungsfront LTTE, den Tamil Tigers. Allein Ende September hat es mindestens 2.000 Tote beim Kampf um diese Straße gegeben.

Die tamilischen Fluggäste sitzen steif in ihren Sitzen. Sie sind nervös. Für die meisten ist es nicht nur der erste Flug überhaupt, sondern auch eine Reise ins Ungewisse. Ein tamilischer Mitreisender erzählt, daß er über drei Jahre nicht mehr in seiner Heimat war. Er will nachschauen, ob sein Haus noch steht. In Colombo lebe er in „ständiger Angst vor Verhaftung“.

Aus Sicherheitsgründen führt der Flug entlang der Westküste in den Norden. Offensichtlich herrscht immer noch Angst vor Raketenangriffen der LTTE, obwohl der tamilischen Guerilla in Jaffna vor drei Jahren von den Regierungstruppen eine schwere Niederlage zugefügt wurde. Mit der „Operation Riviresa“ wurden die Streitkräfte wieder weitgehend „Herr der Lage“ auf der Halbinsel. Die LTTE mußte die meisten von ihr kontrollierten Gebiete aufgeben und ihre Basis in die südlich der Halbinsel gelegenen Vanni- Gebiete verlagern.

Daß die LTTE jedoch vollständig aus Jaffna verdrängt worden sei, wie regierungsnahe Zeitungen in Colombo verbreiten, ist eine Mär. Gerade während der letzten Monate häufen sich die Übergriffe ihrer KämpferInnen. Hier ein Sabotageakt, dort ein Überfall auf ein Militärlager oder die Abrechnung und Exekution tamilischer „Verräter“, die mit der Armee kooperieren“. Dazu zählt auch Sarojini Yogeswaren, die als frisch gewählte tamilische Bürgermeisterin von Jaffna im Mai vermutlich durch einen Anschlag der LTTE ums Leben kam. „Mit der LTTE ist es wie mit Unkraut“, sagt ein Offizier. „Reißt man es nicht bis auf die Wurzeln aus, kommt es immer wieder zum Vorschein.“

Nach knapp einer Stunde Flug sind die kleinen Inselgruppen zu erkennen, die der Jaffna-Halbinsel vorgelagert sind. Nach der Landung auf dem Militärflughafen 25 Kilometer nördlich der Stadt Jaffna entspannen sich die Gesichter der Mitreisenden. Sie sind froh, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Die Fahrt in Richtung Jaffna-Stadt führt an zerbombten Wohnhäusern vorbei, an Ruinen mit Einschußlöchern von Kugeln und Granaten. Auf der Halbinsel sollen über die Hälfte aller Häuser zerstört oder beschädigt sein.

Zwischen all den Kriegsspuren gibt es auch Bilder der Normalität: Kinder in Schuluniformen marschieren nach Hause, die kleinen Märkte sind voll von Chilis, Zwiebeln, Mangos und Bananen. Sie wachsen auf der Halbinsel und können wegen der fehlenden Landverbindung nicht mehr wie früher im Süden verkauft werden. Ihre Preise sind niedrig, während Güter aus dem Süden, die auf dem Seeweg herangeschafft werden müssen, recht teuer sind. Der Wiederaufbau ist in vollem Gange. Er steht in gewisser Weise für den Optimismus, daß es vielleicht irgendwann einmal wieder Normalität geben wird. Viele Gesprächspartner sind jedoch skeptisch.

Vom St. Antonys College in Kayts ist nur noch ein Trakt einigermaßen intakt. „Die Schäden sind durch Granatbeschuß entstanden“, erzählt der Rektor. Von den ehemals 900 Schülern besuchen derzeit nur 175 die Schule. „Viele leben noch in den Wäldern des Vanni-Gebietes südlich der Halbinsel in Flüchtlingslagern.“ Es sind solche Familien, die mit der Einnahme der Jaffna-Halbinsel durch die Regierungssoldaten ihre Dörfer auf der Flucht verlassen haben oder von der LTTE dazu aufgefordert wurden, den Soldaten möglichst menschenleere Ortschaften zu hinterlassen. Ein Flüchtlingstreck mehrerer hunderttausend Menschen zog so Ende 1995 in Richtung Vanni, wo die LTTE versuchte, mit Hilfe dieser „umgesiedelten“ Bevölkerung eine neue Basis zu errichten.

Innerhalb der vergangenen Monate sind viele wieder auf die Jaffna-Halbinsel trotz Anwesenheit der eigentlich verhaßten singhalesischen Soldaten zurückgekehrt. Diejenigen, die noch im Vanni-Gebiet ausharren, haben berechtigte Ängste vor einer Rückkehr, da sie meist in der einen oder anderen Art mit der LTTE kooperierten. Dafür hätten sie bei einer Rückkehr nach Jaffna unter Umständen schwer zu büßen.

Wenn auch die Zahl der Menschenrechtsverletzungen 1997 und 1998 zurückgegangen ist und sich viele Soldaten mit einer gewissen Höflichkeit bei Kontrollen („Sorry for the inconvenience“) bemühen, Vertrauen bei der Bevölkerung der Halbinsel zurückzugewinnen, überwiegen doch noch Mißtrauen und Skepsis. Für viele sind die Soldaten Teil einer Besatzungsarmee, die man möglichst schnell wieder loswerden will. „Regierung und Militär reden zwar viel von Amnestie“, klagt ein Tamile, „viele glauben ihnen aber nicht.“ Genährt wird dieses Mißtrauen durch neue Berichte über Massengräber, die aus der Zeit stammen sollen, als die Regierungstruppen Jaffna einnahmen. Mehrere hundert Tamilen sollen in ihnen verscharrt sein.

„Ich weiß nicht, ob es die Regierung ernst meint mit diesem Büro, ich nehme meine Arbeit jedoch sehr ernst“, sagt Senaka Dissanayake, der Leiter des im März in Jaffna eröffneten Büros der staatlichen Menschenrechtskommission. Er klagt über die schlechte Ausstattung, verweist aber stolz auf erste Erfolge. „Ich habe es geschafft, daß viele Militärs, die bei Fragen von Menschenrechten bisher wenig sensibel waren, mit mir kooperieren.“ Der Menschenrechtskommission müsse jetzt jede Festnahme innerhalb von 48 Stunden angezeigt werden.

Auf der Jaffna vorgelagerten Insel Punkudutivu versucht die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Trinkwasserversorgung wiederherzustellen. Die Frage ist nur: für wen? Das Gebiet ist fast menschenleer, fast alle Häuser an der Hauptstraße sind zerstört. Alle fünfzig Meter Wachposten – mal allein, mal in Zweier- oder Dreiergruppen. Vor einem großen Hindutempel, in dem nun Soldaten leben, ist ein großer Brunnen, der teilweise versalzt ist. „Hier wird es bald wieder Süßwasser geben“, glaubt ein GTZ-Mitarbeiter.

In unmittelbarer Nähe des Tempels errichten Soldaten eine neue Festung. „Sentry-Point“, ein Beobachtungsplatz mit Blick auf das offene Meer. „Auch von dort kommt die LTTE.“ Die jungen singhalesischen Soldaten, die das Bauwerk errichten, haben dafür zuvor kräftig Bäume gefällt. Auf der Halbinsel gibt es fast ausschließlich Palmyrah-Palmen, die sich mit ihren harten Stämmen vorzüglich zum Bunkerbau eignen. So ist in jüngster Zeit der Bestand dieses Baumes rapide zurückgegangen. Aber die ökologischen Schäden interessieren momentan kaum jemanden. Anderes scheint viel wichtiger zu sein. Zum Beispiel die medizinische Versorgung. Die ohnehin eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten gibt es meist nur in den wenigen Krankenhäusern wie dem Teaching Hospital in Jaffna, wo jedoch ein großer Mangel an Ärzten und Krankenschwestern herrscht.

Trotz aller Beteuerungen der Regierung ist es für Jaffna noch ein langer Weg zur Normalität, die ohne politische Lösung des Volksgruppenkonflikts nicht erreicht werden kann. Die von Präsidentin Kumaratunga Bandaranaike versprochene Verfassungsreform, mit der die Interessen der tamilischen Minderheit stärker berücksichtigt werden sollen, steckt schon längere Zeit in einer Sackgasse.

Die LTTE bekundet zwar ihrerseits, Verhandlungen mit der Regierung nicht ablehnend gegenüberzustehen. Dies gilt allerdings nur bei einer Vermittlung durch Dritte. Die Regierung favorisiert offensichtlich weiter eine militärische Lösung und hat die Verteidigungsausgaben für 1998 um weitere acht auf nunmehr 52 Milliarden Rupien, umgerechnet 1,5 Milliarden Mark, erhöht. Die Zeche zahlen die Bürger: Auf allen Waren lastet eine Kriegssteuer von 4,5 Prozent.

Nach einer Woche Aufenthalt in Jaffna geht es mit der Antonow wieder zurück nach Colombo. Auch in der Hauptstadt ist die Lage angespannt. An allen wichtigen Straßen gibt es Kontrollen. Durch von terroristischen Anschlägen zerstörte Gebäude zeugen vom Krieg im Norden und Osten des Landes. Was jedoch tatsächlich in den Krisengebieten passiert, erfahren die Menschen nur selten. Die Regierung hat der Presse einen Maulkorb verpaßt. Melden dürfen die Zeitungen jedoch einige Tage später den Absturz der Antonov von Lion Air mit 48 Personen an Bord kurz nach dem Start in Jaffna. Hat die LTTE die Maschine abgeschossen, oder war es ein technischer Defekt? Die Ursachen sind bis heute unklar.

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