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Mit Kultur gegen die LandfluchtWas bewegen

Kultur hilft, auch gegen Landflucht und verödendes Dorfleben. Doch sie erfolgreich zu fördern, ist anspruchsvoll – und das liegt nicht bloß am Geld.

Der Blick zurück soll das Ausdünnen von Gemeinschaft bremsen: Erntefestfeier 1960 im mecklenburgischen Mestlin Foto: Jochen Moll/bpk

Berlin taz | Es ist ein bisschen wie beim Pilze sammeln: Ist das Auge erst sensibilisiert, scheinen sie überall aus dem Boden zu sprießen. Tatsächlich gibt es inzwischen eine fast unüberschaubare Zahl von Initiativen, Programmen, Stiftungen, die Kultur im ländlichen Raum fördern. Eine lange Liste, die ei­ne*n ins Staunen bringen kann. Und ins Grübeln – sind denn vielerorts nicht immer noch Bushaltestellen die einzigen Hang-outs etwa für Jugendliche?

Über die desaströsen gesellschaftlichen Folgen geschlossener Dorfkneipen und verschwindender öffentlicher Treffpunkte in Kleinstädten wurde seit der Corona-Epidemie so ausführlich geforscht, dass fast jede Maßnahme, die Kultur im ländlichen Raum initiiert, sinnvoll erscheint. Nur: Wer ergreift in sogenannt„strukturschwachen Regionen“ welche Initiative? Und wer entscheidet, was die Menschen vor Ort interessiert? Ein Beispiel:

Der Landkreis Uecker-Randow, Grenzregion Vorpommern, ein landschaftlich reizvolles Gebiet mit Seen, Mooren, weiten Feldern, hohem Himmel, einem ehemaligen NVA-Übungsplatz. Und etlichen kleinen Dörfern, aus denen seit der Wende immer mehr Menschen wegziehen: Nirgendwo in Deutschland ist die anhaltende Landflucht sichtbarer. Hier startete vor fünf Jahren ein großes Projekt der Bundeskulturstiftung, das das regionale Gemeinschaftsleben wiederbeleben sollte, in und zwischen den Dörfern. Ein lokaler Träger kam in den Genuss der Fördermittel und stellte zur Umsetzung unter anderen drei Personen an, die ein „Kulturlandbüro“ gründeten.

Josefa Baum gehörte von Anfang an zu dem kleinen Team: „Ich hätte mir als Jugendliche sehr gewünscht, dass es für uns auch schon solche Initiativen gegeben hätte“, sagt die 31-Jährige. Sie ist selbst in der Region aufgewachsen, spricht fließend Polnisch und hat sich im Studium mit transregionaler Identität im deutsch-polnischen Grenzraum beschäftigt.

Keine importierten Spektakel

Vier Jahre Feldforschung mit Praxisarbeit haben ihren Blick auf die Voraussetzungen für und Erfolgskriterien von Kulturarbeit in strukturschwachen Regionen ziemlich verschoben: Mit leichtem Grusel schaut das Kulturlandbüro heute auf die Anfangsphase zurück, als man mit einer Künstlergruppe in einem Zirkuszelt von Dorf zu Dorf tingelte, „wie mit einem Ufo, das aus Berlin gelandet war“. Es war ein gut gemeintes Unterhaltungsangebot, von dem man sich erhoffte, es würde die Dorf­be­woh­ne­r*in­nen wieder zusammenbringen. Tat es aber nicht.

Die Beschäftigung mit der eigenen, lokalen Geschichte hat sich als inspirierender Ausgangspunkt erwiesen

Das Kulturlandbüro wollte mit solchen importierten Spektakeln nicht weitermachen, es sei schließlich nicht als Veranstaltungsagentur angetreten, sagt Josefa Baum. Zusammen mit ihren Kollegen David Adler, theater-affiner Kulturmanager aus Greifswald, und Maria Elsner, Restauratorin, Kunsthistorikerin und ebenfalls in der Region zu Hause, entwickelte sie neue „Formate“: Die drei führten lange Gespräche in den Gemeinden, mit Einzelpersonen, Zufallsbegegnungen, aber auch Bürgermeistern. Das sei anstrengend gewesen, erinnert sich Maria Elsner, bewegend und aufschlussreich.

Es sei schwierig, Menschen in solch kleinen Gemeinden dazu zu bewegen, selbst wieder aktiv zu werden – als hätten Wende­erfahrungen und Abwanderung zu einer generationsübergreifenden Apathie und Müdigkeit geführt. Das Vereinsleben war vielerorts komplett eingeschlafen, und abgewandert schien auch das Wissen, wie man kulturelles Leben auf dem Land organisiert. „Manche Gemeinden dachten zuerst: Da kommt wer mit einem Eimer Geld!“, erzählt Elsner. „Was fehlte, waren Gespräche, was man mit diesem neuen Geld machen könnte.“

Das Kulturlandbüro begann mit Angeboten für die Gemeinden zu experimentieren und setzte auch auf Netzwerkarbeit mit anderen Initiativen in der Region. So entstanden unter anderem die „Dorfresidenzen“: Das Kulturlandbüro vermittelte interessierte Kunstschaffende, aus denen das Dorf dann ei­ne*n aussuchte und einlud, einige Monate lang dort zu leben. Gemeinsam sollen Ideen entwickelt und realisiert werden.

Lokale Geschichte als Schwerpunkt

Die meisten Gemeinden wollten sich mit der eigenen lokalen Geschichte auseinandersetzen, in Buch- oder Filmform, durch Veranstaltungen mit Zeitzeugen oder auch in Form von Audiowalks. In der Zusammenarbeit mit den Künst­le­r*in­nen kam es durchaus zu Reibungen. Aber, so die Erfahrungen des Kulturlandbüros, diese Konfliktsituationen stießen oft etwas Anderes, Neues an – nachdem die Künst­le­r*in­nen abgereist waren. So wurde etwa eine Heimatstube wiederbelebt, oder an einer Außenfassade erzählte nun ein Mosaik die Dorfchronik.

Muss immer erst etwas Scheitern, bevor eine Kulturinitiative gestartet werden kann, die von der Gemeinde gewollt und mitgestaltet wird? In Rothenklempenow im südlichen Mecklenburg-Vorpommern lief es von Anfang an anders. In dem Dorf mit drei Seen und 541 Ein­woh­ne­r*in­nen, viel rotem Backstein und einer stillgelegten Glashütte hat das Kulturlandbüro seinen Hauptsitz. Inzwischen organisiert ein neu gegründeter Verein dort selbständig gut besuchte Erzählcafés mit lokalen Zeitzeugen, manchmal auch Lesungen und Konzerte.

Viele Veranstaltungen laufen unter dem Dach eines „Lexikons der Erinnerungen“, in dem das Dorfleben zu DDR-Zeiten wieder-, auch weitererzählt wird. Durch gemeinsames Aktenwälzen in der Gemeindehaus-Rumpelkammer, Stöbern in privaten Fotoalben, die Besichtigung alter Produktionsstätten und filmisch dokumentierten persönlichen Erinnerungen ist da etwas in Gang gekommen – als schreibe das Dorf an einem neuen Kapitel seiner Chronik.

Die Beschäftigung mit der eigenen, lokalen Geschichte hat sich als gut geeigneter, inspirierender Ausgangspunkt erwiesen. Besonders in kleinen Gemeinden der ehemaligen DDR scheinen Menschen über eine neu initiierte, kollektive Erinnerungskultur wieder zueinanderfinden. Die Künst­le­r*in­nen von außerhalb geben oft nur den Anstoß, stiften einen Anlass: als Chronist*innen, als interessierte Zu­hö­re­r*in­nen mit einer Videokamera. Und mit dem Wissen, wie sich das gesammelte Material dann aufbereiten lässt.

Erfolg oder Misserfolg ländlicher Kulturförderung hängt nicht nur ab von Themen und Formaten. „Die Kommunen sind als Partner für das viele neue Geld für ländliche Kulturförderung überfordert“, weiß David Adler, der selbst in der Verwaltung einer ländlichen Gemeinde tätig war. „Von den 48 Gemeinden, mit denen wir zusammengearbeitet haben, werden 43 von ehrenamtlichen Bürgermeistern geführt.“ Wer kann da die notwendigen Anträge schreiben, um an existierende Förderung zu gelangen? Wer aus der Verwaltung macht Überstunden, wenn Veranstaltungen auch mal am Wochenende stattfinden? Und organisiert für all das den erforderlichen Versicherungsschutz?

Zwischen Arbeitslosigkeit und Projekten

Hier setzt das Kulturlandbüro auf seinen Neustart: Nachdem die vierjährige Förderung ausgelaufen war, gründete das Trio Anfang des Jahres eine gemeinnützige Unternehmensgesellschaft. Nun hofft es auf eine Basisfinanzierung durch den Landkreis, um Wissen und Netzwerke neuen Projekten zur Verfügung stellen zu können. Man unterstützt Gemeinden oder Einzelpersonen bei der Antragstellung, vermittelt bei Bedarf geeignete Kulturschaffende oder übernimmt auch mal die Veranstaltungsplanung.

Derzeit sind Elsner, Baum und Adler ehrenamtlich unterwegs, hangeln sich selbst mit Gelegenheitsjobs oder Arbeitslosengeld von einem Projektantrag zum nächsten. „Wir verstehen uns nicht selbst als Kulturschaffende“, sagt Adler, „eher wie Gärtner, die ein Beet bestellen – was darauf wächst, sollen die Leute selber entscheiden.“ Förderung könne aber keine fehlenden Strukturen ersetzen: „Es gibt zu viele Projekte und zu wenig Träger.“

Ganz schön kompliziert, Kultur auf dem Lande ins Laufen zu bringen. Neue Geldquellen müssen wie mit ortssensiblen Bewässerungssystemen verteilt werden, wenn sie nicht versickern sollen. Hoffen lässt, dass Fördermittel inzwischen vermehrt nach neuen Kriterien vergeben werden, also anders als in urbanen Zentren – anders aber auch, als es noch vor wenigen Jahren üblich war.

Bei „Aller.Land“ – einem „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und Regionale Wirtschaftsförderung“ – beispielsweise gingen der Juryentscheidung regelrechte Expeditionen in ländliche Regionen voraus. Drei beteiligte Bundesministerien setzen zusammen mit der Bundeszentrale für Politische Bildung auf eine enge Verzahnung mit Ländern und Kommunen, bieten etwa auch Qualifizierungsangebote für die Projektverantwortlichen vor Ort an. Bis 2030 stehen dafür 70 Millionen Fördermittel zur Verfügung. Kein Cent zu viel.

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1 Kommentar

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  • Offenbar verstehen "Kulturschaffende" wenig von dem ländlichen Regionen. Wenn dort ein Träger ein Kulturbüro installiert, stößt er eher auf Misstrauen und Ablehnung. Man muss Vereine unterstützen, die in den kleinen Orten die Strukturen kennen. Sei es die freiwillige Feuerwehr, der Schützenverein oder ein Sportverein. Die schaffen dann auch ein Kulturprogramm, das akzeptiert wird.