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Mit Kolorit ins Ohr erzählt

■ „Schwoien“, „Gillung“: Die „Schatzinsel“ wurde übersetzerisch neu vermessen

„Keine zehn Pferde würden mich nochmals zu jener verfluchten Insel bringen; und die schlimmsten Träume, welche ich überhaupt nur habe, sind diejenigen, wenn ich die Brandung um ihre Küsten donnern höre oder senkrecht im Bette auffahre und die scharfe Stimme von Kapitän Flint mir immer noch in den Ohren klingt: ,Piaster! Piaster!‘“

Wer kennt sie nicht, diese letzten Worte jenes Buchs, das zu den berühmtesten und vielgelesensten Romanen überhaupt gehört: Robert Louis Stevensons „Schatzinsel“. Der unverwüstliche Schmöker kursiert längst in mindestens zehn verschiedenen mehr oder weniger gelungenen Übersetzungen und mehr oder weniger textgetreuen Fassungen auf dem deutschen Markt, so daß die Frage naheliegt, was uns eine neue Übersetzung eigentlich bringt.

Sie bringt viel, denn der Übersetzer Friedhelm Rathjen hat sich erfolgreich bemüht, wie er in einer editorischen Notiz anmerkt, das Zeitkolorit des Originals durchscheinen zu lassen. Die „Schatzinsel“ wurde zwar zu Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben, spielt aber im 18. Jahrhundert. Daraus ergeben sich, so Rathjen, sprachliche Anachronismen – auch des Originals –, die zum Reiz des Textes beitragen. Allerdings ging es Stevenson nicht um die Restaurierung einer vergangenen Sprachstufe. Rathjen hat einen erstaunlich frischen Ton gefunden, der dem Text den Reiz einer fast gesprochenen Überlieferung verleiht, ihn also im eigentlichen Sinn zur Erzählung macht.

Darüber hinaus erklären die sehr genauen, gelegentlich allerdings etwas selbstverliebten Anmerkungen des Übersetzers nicht nur nautische Begriffe wie „schwoien“ oder „Gillung“, sondern sie verweisen auch auf die unterschiedlichen Fassungen des Textes, der ursprünglich als Fortsetzungsroman in einer obskuren Jugendzeitschrift erschien. Schließlich ist dieser Ausgabe auch Stevensons äußerst aufschlußreicher Essay „Mein erstes Buch“ beigegeben, in dem der Autor von der Entstehungsgeschichte der „Schatzinsel“ berichtet. Daß dieser Aufsatz hier erstmals auf deutsch erschiene, ist allerdings eine verkaufsfördernde Mogelei des Klappentextes; es gibt ihn bereits in mindestens zwei deutschen Versionen.

Gleichwohl ist diese Neuausgabe, mit Vignetten Volker Kriegels gleichfalls unmuseal aufgemacht, verdienstvoll; keine Neuentdeckung, aber doch eine Neuvermessung der „Schatzinsel“. Sie ist es um so mehr, als der Zürcher Haffmans Verlag mit dem Roman eine kleine, auf fünf Bände angelegte Werkausgabe Robert Louis Stevensons eröffnet, in der neben den unverwüstlichen Klassikern wie „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ oder „Entführt“ auch Werke Stevensons aufgenommen werden, die in Deutschland kaum bekannt sind, so zum Beispiel der großartige Roman „Die Ebbe“. Gedacht ist auch an die Edition einer Auswahl aus Stevensons umfangreichen Briefwechseln, unter anderem mit Joseph Conrad und Henry James. Stevenson, zweifellos einer der bedeutendsten erzählenden Autoren zwischen Romantik und Moderne, wird hierzulande immer noch als Jugendbuchautor durchgereicht. Das könnte sich durch die Werkausgabe bei Haffmans hoffentlich und endlich ändern. Klaus Modick

Robert Louis Stevenson: „Die Schatzinsel“. Roman. Aus dem Englischen neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Friedhelm Rathjen. Haffmans Verlag 1997. 342 Seiten. 38 DM

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