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Mit Geld, Kalk und Dünger den Harzwald erneuern

Niedersachsen will 65 Millionen Mark in den sterbenden Harzwald investieren / Demnächst neuer Mischwald oder Säuresteppe? / Nur bei drastischer Schadstoffreduzierung hat das Walderneurungsprogramm einen Sinn  ■  Aus dem Harz Jürgen Voges

„Früher schlug der Waldarbeiter einmal mit der Hacke in den Boden, setzte die Baumpflanze hinein und drückte fest“, sagt Sven Wagner Förster aus Riefensbeck im Oberharz. Der Forstmann für Öffentlichkeitsarbeit, der zusammen mit einem Kollegen jährlich 12.000 Harzbesucher über Waldsterben und Walsterben informiert, spricht von längst vergangenen Zeiten: Bei der „Walderneuerung im Harz“, die hier nahe Altenau das niedersächsische Landwirtschaftsministerium der Presse vorgeführt, arbeitetet sich ein ausgewachsener „Schreitbagger“ durch die verbliebenen Bäume, ein Vehikel mit zwei Räder und zwei hydraulisch bewegten Stützen, das sich halb fahrend, halb „schreitend“ fortbewegt. „Der Schreitbagger hat den Vorteil, auf einem Gelände mit einer Neigung bis zu hundert Prozent noch arbeiten zu können. Er bohrt ein Baumplanzloch von 60 cm Durchmesser und 40 cm Tiefe“, sagt der Leiter des Forstamts Altenau, Hubertus Köhler. Auf Knopfdruck - und das ist der eigentliche Sinn des schweren Gerätes - rieselt über den Bohrer am Ausleger des Baggers exakt ein Pfund Kalk herab, das in den Boden hineingewühlt wird.

Planzlochbohrfahrzeuge verschiedenster Größe, Kalkung nicht nur im Planzloch, sondern auch alle sieben Jahre auf dem Waldboden, alle drei bis fünf Jahre eine Düngung mit Stickstoff, Phosphor und Magnesium - den Versuch, hier den „verlichteten Fichtenwald“ auf lange Sicht zu einem „Mischwald“ zu „erneuern“, läßt sich das niedersächsische Landwirtschaftsministerium einiges Kosten. „Noch 1982 hatten wir hier einen voll knapp 90jährigen geschlossenen Fichtenbestand“, erläutert Förster Hubertus Köhler.

Nur noch 39 Prozent der Bäume im Harz haben keine sichtbaren Schäden, die älteren über 60jährigen Bestände weisen gar zu 58 Prozent „deutliche“ Schäden auf. Auch dieser alte Fichtenbestand in mittlerer Lage des Harzes unter 600 Meter zählt zu den stark geschädigten. Ein Alter von 120 Jahren sollte er eigentlich erreichen, doch die Mehrzahl der Bäume hat man vorzeitig heraushauen müssen. Aus einem Fichtenwald mit dunkler Nadeldecke am Boden ist ein Mittelding zwischen Wald und baumbestandener Wiese entstanden, überall zwischen den Bäumen wächst jetzt saftig grünes Gras. In seinen Hochwäldern bis 600 Meter habe das Forstamt Altenau 1988 den „normalen Hiebsatz“, also die Quote der aus einem Wald zu schlagenden Bäume, um 150 Prozent überschreiten müssen, sagt Hubertus Köhler. Beim Walderneuerungprogramm würden nun in die verlichteten Fichtenwälder junge Buchen gepflanzt, zumeist jeweils etwa 4.000 Stück pro Hektar.

In einem Zelt, das man in einem Restwald nahe dem Bruchberg aufgebaut hat, erläutert Landwirtschaftsminister Burghard Ritz später das Walderneuerungsprogramm der Presse. Etwa 65 Millionen soll das seit Jahren laufende Programm insgesamt kosten. In den Harzlagen unter 700 Meter soll dabei auf 4.500 Hektar statt der Fichtenmonokultur ein Buchen-Fichten -Mischwald entstehen. Über 700 Meter hoch liegt die Hütte, an der das Zelt für die Pressekonferenz aufgebaut ist. In den Hochlagen hat man von einer Bewirtschaftung des Waldes längst Abschied genommen. Um die Erosion des Bodens zu verhindern, läßt man auch die abgestorbenen Bäume stehen, allein an der nicht weit entfernten Wolfswarte stehen 100 Hektar abgestorbener Wald. Nur einzelne schon wieder geschädigte junge Fichten bringen es zwischen den Baumkrüppeln noch auf eine Höhe von mehr als einem Meter. Auch 1.500 Hektar dieser Hochlagen sind in das „Walderneuerungsprogramm“ einbezogen. Hier, so sagt der Landwirtschaftsminister, würden Fichten, Ebereschen und auch der Heister, eine Art Krüppelbuche, gepflanzt. Diese rein ökologischen Maßnahmen dienten vor allen dem Schutz der Talsperren vor dem Folgen der Erosion, also der Sicherung der Trinkwasserversorgung. Deswegen würden sie zum Teil auch aus Strukturhilfemitteln des Bundes finanziert.

Allerdings nennt sich auch diese letzte Bepflanzung mit Erosionsschutzgehölzen, mit dem, was auf der Säuresteppe noch wächst, „Walderneuerung“. Die Forstleute fürchten allerdings auch um den Erfolg ihrer Buchenplanzungen in den „lichten Fichtenbeständen“ in den tieferen Lagen. Etwa fünf bis zehn Jahre, so schätzt der junge Förster für Öffentlichkeitsarbeit, Sven Wagner, würden die Kalkbeigaben in den Pflanzlöchern die jungen Buchen vor der Bodenversauerung schützen. Auch der Chef des Walderneurungsprogramms, der Forstdirektor Berhard Freiherr von der Heyden-Rynsch, gibt unumwunden zu, daß die ganze 65 -Millionen-DM-Investition ohne entsprechende Reduzierung der Schadstoffemissionen „rausgeschmissenes Geld“ werden könnte. So ist es denn wieder einmal eine Frage der Bonner Umweltpolitik, ob Niedersachsen sein teures Walderneuerungsprogramm in den sauren Regen setzt.

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