■ Mit Chemikalien auf du und du: Gefährlich unbekannt
Berlin (taz) – Etwa 100.000 verschiedende Chemikalien werden in der Europäischen Union vertrieben und haben sich inzwischen in Luft, Boden, Wasser und Lebewesen angereichert. Trotzdem weiß man kaum etwas über die Gefährlichkeit der meisten dieser Stoffe. Das ist das Ergebnis einer Studie über „Chemikalien in der Umwelt Europas“, die die Europäische Umwelt Agentur (EEA) jetzt vorgelegt hat. Die offiziellen EU-Naturschützer monieren vor allem, es gebe für „75 Prozent der 2.000 bis 3.000 Chemikalien mit großem Umfang auf dem Markt nur unzureichende Daten über die Toxizität und die Umwelt-Toxizität“, um nach den OECD- Richtlinien eine minimale Risikoabschätzung vorzunehmen.
Etwa 130 Millionen Tonnen Chemikalien wurden 1995 in Westeuropa produziert, sie bringen zwei Prozent des EU- Bruttosozialprodukts und sieben Prozent der Arbeitsplätze. Allein ein Viertel der in der EU produzierten Chemie kommt aus Deutschland. Grundsätzlich gehen laut EEA-Bericht die Konzentrationen und Emissionen einiger chemischer Stoffe zurück. Bislang richteten sich die Blicke der Forscher allerdings vor allem auf einzelne Substanzen, zunehmend würde das Ökosystem aber „sehr komplexen Mischungen“ aus Chemikalien ausgesetzt. Es gebe zwar keine Beweise für weitverbreitete negative Effekte auf Gesundheit oder Ökosystem. „Kein Beweis“, warnt jedoch die Umweltagentur, „bedeutet nicht kein Effekt.“
Eine dauerhafte Niedrigdosis könne möglicherweise unwiderrufliche Schäden vor allem bei Kindern oder schwangeren Frauen hervorrufen. Auch verdichteten sich die Beweise, daß die Risiken aus bestimmten Chemikalien für Menschen und das Ökosystem stiegen.
Gesetze zum Schutz vor den Chemiegefahren gibt es inzwischen genug, doch „ihre Effektivität und ihre Anwendung können schlecht sein“, schreibt die EEA. Manchmal wisse die Industrie auch nicht, an welche der widersprüchlichen Richtlinien sie sich zu halten habe. Bei einer Untersuchung der Färbeindustrie in den 15 EU-Staaten zeigte sich, daß viele neue Chemikalien gar nicht erst gemeldet worden waren. Etwa 45 Prozent der untersuchten Firmen verstießen gegen die entsprechende EU-Richtlinie. Bernhard Pötter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen