Misstrauensvotum in Rom: Salvini beendet Italiens Urlaub
Innenminister Matteo Salvini stellt die Machtfrage. Der Bau einer Schnellbahnstrecke ist dafür zwar der Anlass, nicht aber der Grund.
![Matteo Salvini oben ohne auf einem Jetski. Matteo Salvini oben ohne auf einem Jetski.](https://taz.de/picture/3606851/14/Matte_Salvini_Misstrauensvotum_Italien_Neuwahlen.jpeg)
Schon am Donnerstag hatte Salvini erklärt, er strebe möglichst rasche Neuwahlen an. „Ich werde die Italiener auffordern, mir volle Befugnisse“ zu geben, sagte er in Pescara in den Abbruzzen.
Der Streit innerhalb der Regierung schwelt seit Monaten. Zum Anlass, nun den endgültigen Bruch auszurufen, hatte Salvini eine Abstimmung am Mittwochabend im Senat genommen. Bei der ging es um ein umstrittenes Milliardenprojekt: den Bau der Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke zwischen Turin und Lyon (Tav).
Die Fünf Sterne hatten stets ihren Widerstand gegen die Trasse bekundet und sich auch am Mittwoch dagegen gestellt. Die Lega aber beharrt darauf, welche positive Bedeutung die Bahnverbindung für Italiens Wirtschaft haben könnte. „Zu viel Nein (…) schadet Italien, das stattdessen wieder zum Wachstum zurückkehren und daher schnell wählen gehen muss“, erklärte die Lega am Freitag. „Wer Zeit verliert, schadet dem Land.“
Koalitionsbruch mit Ansage
Das ist der Anlass – allerdings wohl kaum der wahre Grund. BeobachterInnen von Italiens Politik hatten schon lange den Eindruck, dass Salvini einen Koalitionsbruch provozieren wollte. Denn die Lega erreicht in Umfragen derzeit zwischen 34 und 39 Prozent – während die Fünf Sterne heftig abgesunken sind. Bei Neuwahlen wären die Rechten so locker die stärkste Partei.
„Nach den Europawahlen hat Salvini einfach nach einem Grund gesucht, diese Koalition zu beenden“, sagt auch Politikwissenschaftler Paweł Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik, – und habe diesen nun im Streit über die Tav gefunden.
Salvini sei ein „sehr guter Stratege“, der lange auf bessere Umfragewerte für seine Lega gewartet habe. Nun hat er die besten in der Geschichte seiner Partei – „und die Lega kann potenziell allein regieren“, sagt Tokarski.
Der Politikwissenschaftler weist auf die steigende Tendenz der Werte hin. Dann bräuchte Salvinis Lega nicht einmal mehr die konservativen Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die neben der rechtsextremen Fratelli d'Italia mögliche Bündnispartnerin für eine rechte Allianz wäre. „Salvini ist sehr gut in politischen Kampagnen“, so Tokarski. „Und wir müssen in Betracht ziehen, dass die Wahlen nicht sofort sind, sondern frühestens Mitte Oktober.“
Conte spricht ein Machtwort
Dem Vernehmen nach hätte Salvini gern eine Neuwahl am 13. Oktober. Bis dahin hat der berühmteste Kopf der rechten Partei noch viel Zeit für Meinungsmache. Allerdings: So gerne Salvini tut, als bestimme er über die gesamte italienische Politik, so stehen vor einer neuen Wahl einige Schritte – ganz abgesehen davon, dass nur Staatspräsident Sergio Mattarella die Macht hat, das Parlament aufzulösen.
Am Montag um 16 Uhr soll sich auf einer Sitzung der Fraktionsvorsitzenden des Senats entscheiden, wann die Abgeordneten für ein Votum aus ihrer Sommerpause nach Rom zurückkehren müssen. Natürlich könnte der parteilose Ministerpräsident Conte auch einfach zurücktreten – doch das ist unwahrscheinlich.
Er hatte Salvini am späten Donnerstag scharf in die Schranken gewiesen und erklärt, einem Innenminister stehe nicht zu, das Parlament zurückzubeordern. Conte forderte Salvini auf, sich im Senat den Abgeordneten und den WählerInnen zu erklären.
Wenn der Misstrauensantrag der Lega durchkommt, könnte Präsident Mattarella zunächst ausloten, ob die Kräfteverhältnisse im Parlament eine andere Koalition zulassen. Gewinnt Conte die Abstimmung, kann er zwar weiter regieren, muss sich dafür aber auch eine neue Mehrheit organisieren. Die „Demokratische Partei“ (Partito Democratico, PD) hätte zusammen mit den Fünf Sternen zwar eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme, aber die beiden Parteien trennt inhaltlich einiges von einer erfolgreichen Zusammenarbeit.
Wenn nach dem Ausgang des Misstrauensvotums keine alternative Mehrheit zustande kommt, hat Mattarella zwei Möglichkeiten: die Parlamentskammern auflösen oder eine Übergangsregierung aus Experten bis zum nächsten regulären Wahltermin zu ernennen. Solche sogenannten technischen Regierungen haben in Italien durchaus Tradition, zuletzt regierte unter Mario Monti von 2011 bis 2013 ein solches Kabinett. Da der neue Haushalt für 2020 beschloßen und im Oktober bei der EU eingereicht werden soll, spricht einiges dafür, dass Mattarella letzter Variante zuneigen wird.
So lange aber, bis es mit dem neuen Haushaltsgesetz ernst wird, wollte Salvini offenbar nicht abwarten – aus Kalkül? „Salvini könnte auch nicht zu lange auf die Neuwahlen warten“, sagt Politologe Tokarski. „Denn in der Wirtschaftspolitik hat die Lega auch nicht so viel geschafft.“ Hier könnten die WählerInnen bald merken, dass Salvini seine Versprechen nicht einhalte.
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