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Misshandlungen in SyrienElektroschocks an den Hoden

Amnesty International wirft dem Regime in Damaskus schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Ein Fallbeispiel für Mord und Folter in einer syrischen Kleinstadt.

Im Namen der Flagge werden in Syrien Oppositionelle geforltert. Bild: dapd

BERLIN taz | Einem Bericht von Amnesty International zufolge haben syrische Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung von Protesten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. In einem am Dienstag vorgelegten 21-seitigen Bericht mit dem Titel "Razzia in Syrien: Terror in Tell Kalakh" dokumentiert die Menschenrechtsorganisation Fälle von Mord, willkürlicher Festnahme und Folter in der Stadt nahe der libanesischen Grenze.

"Nach Auffassung von Amnesty International handelt es sich bei diesen Verbrechen, die in Tell Kalakh begangen wurden, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weil sie offenbar Teil eines breit angelegten, systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sind," heißt es in dem Bericht.

"Die meisten in diesem Bericht aufgeführten Verbrechen fallen in den Verantwortungsbereich des Internationalen Strafgerichtshofs," sagte der Leiter der Nahost-Sektion von Amnesty, Philip Luther. Daher fordert die Organisation den UN-Sicherheitsrat auf, den Fall an den Ankläger des ICC weiterzuleiten. "Die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, im Namen des Menschenrechts gegen Libyen vorzugehen, hat ein Schlaglicht auf ihre Doppelmoral gegenüber Syrien geworfen", fügte Luther hinzu.

Da Amnesty, wie anderen internationalen Organisationen auch, die Einreise nach Syrien verweigert wird, wurde die Untersuchung der Vorfälle in Tell Kalakh unter Flüchtlingen im Nordlibanon durchgeführt sowie mittels Telefongesprächen mit Einwohnern der Stadt. Insgesamt sprachen die Vertreter von Amnesty mit über 50 Personen, die zum Teil aus Sicherheitsgründen namentlich nicht genannt werden wollten.

Weitere Proteste trotz Freilassungen

In Tell Kalakh, einer Stadt mit über 30.000 Einwohnern, hatten die Demonstrationen Ende März mit der Forderung nach der Freilassung von 250 Personen begonnen, die offenbar Ende 2009/Anfang 2010 wegen Schmuggels festgenommen worden waren. Obwohl 70 von ihnen im April und Mai auf freien Fuß gesetzt wurden, gingen die Proteste weiter, wobei die Demonstranten nun den Sturz des Regimes forderten.

Am 14. Mai rückten Militärfahrzeuge mit schwerer Artillerie in die Stadt ein. Scharfschützen eröffneten das Feuer, auch auf einen Krankenwagen, und schossen auf flüchtende Familien. Zwischen dem 16. und 18. Mai führten Soldaten Hausdurchsuchungen durch, bei denen Dutzende Männer verletzt und festgenommen wurden. Jede Familie, mit der Vertreter von Amnesty im Libanon sprachen, hatte mindestens einen Angehörigen, der im Gefängnis saß. Auch drei Jugendliche wurden inhaftiert.

Nach Angaben der Gesprächspartner wurden alle Festgenommen gefoltert, auch solche, die zuvor bereits verletzt worden waren. "Der Vernehmende fragte mich, ob ich verheiratet sei", berichtet etwa der 20-jährige "Mahmoud". "Ich sagte, das sei ich nicht, also sagte er, er werde mein männliches Organ abschneiden. Er schlug mich so hart auf den Körper, dass ich ohnmächtig wurde. Ich kam wieder zu mir, nachdem ich mit Wasser bespritzt wurde, und ohne Warnung versetzte er mir einen elektrischen Schlag an meinen Hoden. Es war so schrecklich, dass ich es nicht beschreiben kann."

Leichen mit Spuren schwerer Misshandlungen

"Ich glaube, ich war fünf Tage bei der Militärischen Sicherheit in Homs - jeden Tag die gleiche Geschichte. Sie fesselten mich in der Shabah-Stellung [die Gefangenen werden an den Handgelenken so aufgehängt, dass sie nur mit den Fußspitzen den Boden berühren, d. Red.] und verabreichten mir Elektroschocks am Körper und an den Hoden. Manchmal schrie ich sehr laut und bettelte den Vernehmer an, aufzuhören. Er kümmerte sich nicht darum. Sie zwangen mich, meinen Daumenabdruck unter Dokumente zu setzen, die ich nicht gelesen habe; meine Augen waren verbunden."

Amnesty berichtet auch von acht Männern, die sich in einem Haus versteckt hatten. Als Soldaten befahlen, die Tür zu öffnen, und vier dem Folge leiteten, eröffneten sie das Feuer, mehrere Männer der Gruppe wurden verletzt. Etwa zwei Wochen später forderten die Behörden die Verwandten der Männer auf, in einem Militärkrankenhaus in Homs ihre schwer misshandelten Leichen zu identifizieren.

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9 Kommentare

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  • G
    guntherkummerlande

    Gebt dem Volk genauso soviel Waffen, um sich zu verteidigen und sich Folterer vom Hals zu halten

    und so wenig Waffen, um nicht damit

    kriminelle Organisationen aufzubauen

    und die nach zwei Jahren Krieg durch Abnutzung

    (bewußt bescheiden gewählte Werkstofflegierungen!

    der "Volkswaffen")

    nicht mehr weiter einsetzbar sind!

     

     

    Sammelt Spenden für den Militärhaushalt

    der nun endlich legitimierten Übergangsregierung

    ausschließlich für Waffen, Munition, Transport,

    Lebensmittel, Medizinische Grundversorgung und

    macht dadurch die Übergangsregierung handlungsfähig.

    Bietet kostenlose Luftaufklärung und logistische

    Unterstützung. Gebt den Rebellen Uniformen

    und die militärische Legitimation der Übergangsregierung als ordentliche Soldaten

    mit Rentenanspruch, Krankheitsgeld, Invalidenrente.

    Stört die Nachrichtensender der Regime durch

    eingeblendete Informationssendungen der Übergangsregierung.

    Signalisiert den Menschen in Tripolis, das das

    Ende des Regimes nahe ist.

    Die Übergangsregierung muß unbedingt in diesen

    Staatsfernsehen, die neue demokratische Verfassung

    basierend auf den Grundgesetzen angeben.

    Damit die Menschen wissen für was sie da eigentlich

    kämpfen.

     

    Gleiches gilt für Syrien.

    Ein Volk unter Waffen kann man nicht wie Tiere

    abschlachten!!

    Ein Volk unter Waffen, die nie untauglich werden,

    kann aber auch nie zum Frieden zurück finden.

  • UR
    uwe realist

    Ergreift doch bitte Partei für das Schwache, nicht für Regierungen, Religionen, Weltanschauungen,Bewegungen. Die Opfer von gestern sind schnell die Peiniger von morgen.

    Opfer werden viel zu leicht instrumentalisiert. Man sollte einen gequälten Kabuler Taxifahrer in Guantanamo fragen,ob er zum Märtyrer für die Taliban werden wollte.

    Parteiergreifender Hass lenkt nur von unserer eigenen Untätigkeit ab, oder schränkt sich hier irgendwer beim betanken seines Autos ein, damit Menschen im Kongo nicht an den Folgen der Öl- Förderung sterben.

    Oder ist jemand bereit, irgendetwas für die Dürre-Opfer in Somalia zu tun. Euer TAZ- Kommentar ist allenfals kostenloser Ablasshandel.

    Niemand tut hier etwas für die Rehabillitation des Islam noch die der deutschen Friedensbewegung und schon garnicht für die Menschlichkeit, nur für sich selbst.

  • HE
    Hans-Peter Ernst

    @ LailaBaba

     

    "Ali Tarhuni war als junger Student mehrfach im Gefängnis, weil er Gaddafi kritisiert hatte. Er wurde 1950 in Mardsch, östlich von Bengasi geboren und zog 1962 mit seiner Familie nach Bengasi. Er verließ Libyen 1973, nahm in Michigan das unterbrochene Studium wieder auf und war zuletzt Professor an der School of Business der University of Washington. Mitte April 2011 kam er über Kairo zurück nach Bengasi." ("Basler Zeitung", 23.4.2011)

     

    Ein Antiimp hier bei "taz.de": "Hätten die Araber Würde, dann hätten sie unabhängige Regierungen und keine in den USA getrimmten und in der arabischen Welt installierte Marionetten."

     

    Mir wäre nie eingefallen Mielke und Ulbricht als in Moskau getrimmte und dann in Ostdeutschland installierte Marionetten zu sehen. Ein solches Denken ist mir fremd und erinnert mich nur an Landserheftchen und Jerry-Cotton-Romane.

     

    Wäre Gaddafi ein westlich orientierter Diktator und Ali Tarhuni in Opposition zu ihm nach Moskau gegangen um dort den Marxismus-Leninismus zu studieren, dann wäre Tarhuni für deutsche Antiimps ein Mensch mit Würde und keine Moskau hörige "Marionette".

     

    Im Wort "Marionette" erkenne ich jene Entmenschlichung, die bei Antiimps zum Wort "Ratten" - Gaddafis Vorbild Adolf sprach von "Bakterien" und "Ungeziefer" - und zur Folter und Vernichtung des Gegners führt.

     

    Ich wäre, die Möglichkeiten dazu vorausgesetzt, 1973 im Kampf für Allende nicht vor Mord an Pinochet oder Kissinger zurückgeschreckt, aber ich hätte sie nicht gefoltert.

     

    Ahmed Ben Abdelkader hat Angehörige im Familien- und Freundeskreis, die mit Folter nicht nur als Info konfrontiert wurden. Ihn kotzt es an, wenn hier Antiimps mit Gaddafis angeblichen "sozialen" Wohltaten, anderswo nennt man sie Bestechung, Propaganda machen wollen, obwohl sie sich, z.B. in "konkret", auch anders über die Wirtschaft in Libyen informieren könnten. Antiimps, die Gaddafis Folterkeller ignorieren oder mit dem Hinweis auf Guantanamo wegwischen wollen.

     

    "Die US-Imperialisten wollen nur das Öl." Ist das ein differenzierter Blick in die Welt? Kann man, z.B. Obama, so sehen?

     

    Seit ich im März 2011 das Statement Lafontaines bei Anne Will hörte und sah, dass nämlich er, in verantwortlicher Position, der Vernichtung der Opposition in Bengasi durch Gaddafis Truppen tatenlos zugesehen hätte, weiss ich, ich wähle nie wieder Linkspartei.

     

    Und ihr Antiimps geht mir eh am Po vorbei. Denn ihr habt immer noch nicht begriffen, dass ihr, und Figuren wie Gaddafi, Mielke Stalin euren Sozialismus extremst suspekt gemacht habt. Das wart ihr! Und nicht "der Westen".

  • AB
    Ahmed Ben Abdelkader

    @ LAILABABA

     

    Wenn ich darauf hinweise, dass unter Gaddafi und unter Assad gefoltert wird, dann knallt man mir Guantanamo an den Kopf. Und eins ist mir in den jüngst vergangenen vier oder fünf Monaten klar geworden: Für Freiheit und Menschenrechte stehen die deutsche "Friedensbewegung", deutsche Sozialisten und Antiimperialisten nicht. Die stehen nur für "Ruhe, Frieden, Ordnung" und hätten die Vernichtung der libyschen Opposition ("Ratten") durch den Gaddafi-Clan bejubelt.

  • S
    Stefan

    Unglaublich ... unser stabilisierender Dialogpartner? (jedenfalls bis vor kurzem...)

  • L
    LailaBaba

    @Ahmed Ben Abdelkader: ganz so banal sind nicht einmal Deutsche Antiimperialisten. Im Gegensatz zu Ihnen gelingt es diesen meist, die Welt differenzierter zu sehen.

  • AB
    Ahmed Ben Abdelkader

    Und wie schon bei Gaddafi werden uns jetzt deutsche Antiimperialisten erzählen, dass Folter unter Assad "gut" sei, weil sein Regime ja auch sozialistisch ist.

  • WR
    Weiße Rose

    Es ist einfach unfassbar: Da bricht in der arabischen Welt die Barbarei aus und Frau Merkel schickt noch 200 Panzer, weil man hier im Namen aller Deutschen auch noch Geld an der Niederschlagung der demokratischen Revolution verdienen will.

  • K
    Kai

    Nur mal so: sagt Amnesty eigentlich was zu den Elektroden an den Hoden der Gefangenen in den US-Lager Guantanomo und Bagram?