Missbrauchsbeauftragte Bergmann: Kirche soll entschädigen
Die Missbrauchsbeauftragte der Regierung hat die katholische Kirche aufgefordert, Opfer sexuellen Missbrauchs zu entschädigen. Auf der Bischofskonferenz wurden keine Zahlen genannt.
BADEN-BADEN/FULDA afp/dapd | Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, hat die katholische Kirche in Deutschland zur finanziellen Entschädigung der Opfer sexuellen Missbrauchs aufgefordert.
Es müsse darum gehen, Verantwortung zu übernehmen "und zu sagen, wir beteiligen uns selbstverständlich auch an materiellen Entschädigungen", sagte Bergmann am Dienstag im SWR. Dabei seien statt einer pauschal festgelegten Höhe von Entschädigungszahlungen je Opfer auch individuelle Zahlungen vorstellbar.
Allerdings sei es dabei "wirklich wichtig", dass Transparenz herrsche, sagte Bergmann. "Denn uns sagen die Betroffenen auch immer, Entschädigung darf kein Schweigegeld sein." Bergmann will eine Kampagne gegen sexuellen Missbrauch starten.
Seit der Einrichtung ihrer Anlaufstelle in diesem Frühjahr haben sich 2.500 Männer und Frauen telefonisch oder schriftlich gemeldet und über Fälle sexuellen Missbrauchs berichtet, sagte die ehemalige Bundesfamilienministerin im SWR.
Die katholische Kirche hat angesichts der vielen Missbrauchsfälle in ihren eigenen Reihen Selbstkritik geübt. Zum Auftakt der Herbstvollversammlung in Fulda sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, am Montag: "Wir haben Opfern zu wenig zugehört, Fehler falsch beurteilt, und unser Handeln, wie andere auch, oft zu sehr darauf ausgerichtet, dass das Ansehen der eigenen Institution, der Kirche, gewahrt bleibe."
Bei dem viertägigen Treffen steht auch eine finanzielle Entschädigung für die Opfer auf der Tagesordnung. Konkrete Summen wollte Zollitsch aber nicht nennen.
Zollitsch rief die Bischöfe auf, "ungeschminkt auszuleuchten", wie die Kirche mit dem Vorwurf der Intransparenz sowie zu vieler Denk- und Diskussionsverbote umgehen wolle. Es brauche eine "vertiefte Selbstvergewisserung" und auch ein Nachdenken über die eigene Kommunikation.
Diese sei im letzten halben Jahr nicht von Gemeinschaftssinn geleitet gewesen, sowohl öffentlich als auch intern. Die Kirche in Deutschland müsse die Mitte finden zwischen einer "ängstlichen Absonderung" von der Welt und einer "sendungsvergessenen Anpassung" an sie, meinte er.
Den jüngsten Vorschlag der Jesuiten, jedem Opfer 5.000 Euro zu bezahlen, kommentierte Zollitsch zurückhaltend. "Wir wollen jetzt nicht einzeln vorpreschen", sagte er. Der zuständige runde Tisch müsse dazu einvernehmlich eine Lösung finden. Der Freiburger Erzbischof unterstrich, dass es auf die "gesamtmenschliche Hilfe" ankomme. "Es wäre falsch zu sagen, es geht nur um Geld", sagte er.
Die Versammlung will nach seinen Worten auch Richtlinien für die Ausbildung von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern erarbeiten, um Missbrauchsfälle zu verhindern. Hier sei "erhöhte Wachsamkeit" gefordert, meinte der Bischof. So wolle sich die Kirche von Bewerbern bei Einstellungen ein Führungszeugnis vorlegen lassen.
Am Mittwoch wollen die Bischöfe nach seinen Angaben darüber nachdenken, wie die Kirche den durch die Skandale entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust wieder wettmachen kann. "Keiner von uns hätte sich je vorstellen können, dass es solche Ausmaße annimmt", sagte er mit Blick auf die Vielzahl von Missbrauchsfällen. Die Kirche insgesamt habe das Problem zu spät wahrgenommen.
Ende August hatte die Deutsche Bischofskonferenz nach den Skandalen der vergangenen Monate ihre Leitlinien verschärft. Künftig müssen in praktisch jedem Fall die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden.
Ausdrücklich begrüßte Zollitsch die deutlichen Worte des Papstes zum Thema Missbrauch bei dessen Reise nach Großbritannien. Er sei dankbar für den Besuch, der Brücken geschlagen habe.
Wie sich die zahlreichen Missbrauchsfälle auf die Zahl der Austritte ausgewirkt haben, könne er noch nicht sagen. "Ich fürchte allerdings, dass es durchaus in diese Richtung eine Verstärkung gewesen sein könnte", sagte Zollitsch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen