Missbrauch im Sport: Sicher schwimmen
Eine Untersuchung stellt dem Deutschen Schwimm-Verband ein miserables Zeugnis im Umgang mit sexualisierter Gewalt aus. Neue Regeln sollen es nun richten.
Nachdem Hempel angekündigt hatte, den Deutschen Schwimm-Verband auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu verklagen, kam es zu einer außergerichtlichen Einigung, in der der Verband sich zur Zahlung von 600.000 Euro verpflichtete. Zudem richtete der DSV eine „Unabhängige Aufarbeitungskommission zu Sachverhaltskomplexen interpersonaler Gewalt im Deutschen Schwimmsport“ ein. Die hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt, in dem sie auch Handlungsempfehlungen für den Schwimmsport formulierte.
Der DSV hat den 120 Seiten umfassenden Bericht entgegengenommen und fühlt sich verpflichtet, die Handlungsempfehlungen der Sportrechtlerinnen Caroline Bechtel und Martin Nolte sowie der Sportsoziologinnen Fabienne Bartsch und Bettina Rulofs, allesamt von der Sporthochschule Köln, umzusetzen. „Allen im DSV Organisierten steht ein Recht auf sicheren Schwimmsport zu“, lässt sich DSV-Präsident David Profit in einer Pressemitteilung zum Eingang des Berichts zitieren.
Das hätte ein DSV-Präsident gewiss auch zu der Zeit gesagt, als Jan Hempel unter seinem Trainer zu leiden hatte. Nun soll am 30. November auf der DSV-Mitgliederversammlung ein Leitantrag mit dem Titel „Recht auf sicheren Schwimmsport“ verabschiedet werden. Wichtiger als dieses Bekenntnis ist gewiss die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Prävention. Es gilt ein Umfeld zu schaffen, das Missbrauch, sexualisierte Gewalt und übergriffiges Verhalten in Wort und Tat zu verhindern hilft.
Systemisches Problem
Ein solches gibt es bislang im DSV nicht. Das gehört zu den zentralen Erkenntnissen des Berichts, der in einer 19-seitigen Kurzform auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Den Vorwürfen aus der ARD-Dokumentation wurde noch einmal intensiv nachgegangen, zum allergrößten Teil wurden sie bestätigt. Dass Hempels Trainer sich so lange an seinem Vorzeigeathleten vergehen konnte, obwohl „die damalige Bundestrainerin im Wasserspringen ab einem bestimmten Zeitpunkt von den Vorfällen wusste“, ist einer der zahlreichen erschütternden Sätze aus dem Bericht, die für ein systemisches Versagen im deutschen Schwimmsport sprechen.
Das reicht bis in die jüngste Vergangenheit. So habe der Verband im Fall des Vorwurfs sexualisierter Belästigung während der Olympischen Spiele 2021 in Tokio bei der Kommunikation mit den Betroffenen versagt.
Ob der organisierte Sport nun einer der zentralen Feststellungen des Berichts folgen möchte, wird sich zeigen. Denn darin geht es um die Frage, inwieweit ein menschenfreundlicher Leistungssport überhaupt möglich ist. „Der Erfolg eines Sportverbands zeigt sich nicht nur in Medaillen, sondern in seiner Fähigkeit, Athlet*innen vor Gewalt und Machtmissbrauch zu bewahren und eine Kultur des Respekts zu fördern,“ wird Fabienne Bartsch, eine der Autorinnen des Berichts, auf der Website des DSV zitiert.
Und in dem Bericht selbst heißt es: „Eine primäre Ausrichtung auf den sportlichen Erfolg trägt nach Ansicht der Kommission dazu bei, dass Athlet:innen ihre Bedürfnisse und ihr Wohlbefinden den sportlichen Zielen und Siegen unterordnen.“ So entstünden „Strukturen, Abhängigkeiten und Hierarchien, die die Ausübung und Verdeckung von sexualisierter Gewalt ermöglichen.“ Der Schwimmsport ist wegen der „körperlichen Nähe beim Training, bei Umkleide- und Duschsituationen sowie dem hohen Grad an Nacktheit“ hier besonders anfällig.
Recht auf Abstand
Hier soll die Präventionsarbeit ansetzen. Eltern, Athleten und Trainer sollten über sexualisierte Gewalt und deren Definition aufgeklärt werden, es sollen Regeln formuliert, gegebenenfalls ein „Recht auf Abstand“ definiert werden. Und es sollen Orte geschaffen werden, an die sich Betroffene wenden können. Darüber hinaus soll es härtere Sanktionierungsmaßnahmen für die Täter geben, eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexualstraftäter*innen im Schwimmsport“, wie das der DSV in seiner Mitteilung für sich übersetzt.
Die Verbands- und Vereinssatzungen sollten so formuliert werden, dass auch Strafen für Taten ausgesprochen werden können, die unterhalb der strafrechtlichen Relevanz liegen. Nur wenn es die Satzungen hergeben, können etwa auch verbale Entgleisungen zu Hallenverweisen oder Klubausschlüssen führen. Hauptamtliche Klubangestellte sollen dem Regelwerk genauso unterliegen wie ehrenamtliche Trainer.
Vieles, was in dem Bericht vorgeschlagen wird, soll demnächst für alle im Deutschen Olympischen Sportbund organisierten Verbände gelten. Mitte Oktober hatte der DOSB den „Safe Sport Code“ vorgestellt, ein „Muster-Regelwerk gegen interpersonale Gewalt“. Darüber soll auf der Mitgliederversammlung des Dachverbands am 7. Dezember abgestimmt werden. Dann wären alle Verbände verpflichtet, die darin formulierten Regeln bis 2028 in ihrem Zuständigkeitsbereich zu implementieren.
Eine zentrale Rolle spielen darin die Anlaufstellen für Betroffene sexualisierter Gewalt. An dieser Stelle gibt es Kritik von der unabhängigen Interessenvertretung Athleten Deutschland. Sie fordert, dass Sportlerinnen grundsätzlich das Recht haben sollten, sich im Zweifel an eine verbandsunabhängige Stelle wenden zu können. Das sei in der Musterfassung, die der DOSB veröffentlicht hat, so nicht vorgesehen. Die Geschichte des Dopings in Deutschland habe gezeigt, dass sich etliche Verbände im Zweifel für das Verbandswohl und gegen den Kampf gegen Doping entschieden hätten.
Um solche Selbstschutzmechanismen des Sports erst gar nicht in Gang zu setzen, wurde vor zwei Jahren das Zentrum Safe Sport als Anlaufstelle für „Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Sport“ gegründet.
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