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Misch dich mal ein

Zivilcourage kann man lernen – im Hamburger „Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation“  ■ Von Kaija Kutter

Ein lauer Sommerabend an der Alster. Auf einem Bootssteg feiern über 200 Personen das Ende einer Ruderveranstaltung. Zwei, drei hüpfen übermütig ins braune Als-terwasser. Plötzlich geht ein Ruck durch die Menge. Zwei kräftige Männer schaukeln einen zappelnden Teenager an Händen und Füßen, um ihn ins Wasser zu schmeißen. Der Junge windet sich verzweifelt, alle gucken hin, keiner tut was. Dann ein lauter Schrei: „Hört auf, ihr Idioten. Der will das doch nicht!“ Splasch, es ist zu spät.

Ein gutes Beispiel für Zivilcourage, findet Dieter Lünse vom „Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation“ (ikm). Wenn Täter einem Opfer Gewalt antun, reagieren die Zuschauer meist gelähmt – wie das Kaninchen auf die Schlange. „Das läuft wie im Film ab. Der laute Schrei kann das unterbrechen.“ In den Kursen, die das Institut seit zwei Jahren für Jugendliche und Lehrer anbietet, lernen die Teilnehmer allerdings noch ein etwas differenzierteres Vorgehen.

Wichtig, so Lünse, sei in der Tat, erst einmal die „Schweinerei“ zu benennen. Auch wenn Männer ihre Frauen schlagen oder Eltern ihre Kinder sei ein erster Schritt der Gegenwehr, seine Meinung zu sagen. „Sich selber zum Zeugen zu machen verunsichert den Täter im allgemeinen stark.“ Allerdings sei die Kunst dabei, die Täter nicht zu beleidigen – „ihr Idioten“ – und die Distanz zu wahren, um sich nicht selber zum Spielball des Ereignisses zu machen. Ein nächster Schritt sei, andere Zuschauer gezielt anzusprechen und zur Aktion zu bewegen. Zum Beispiel: Sie da im blauen Mantel, holen Sie doch mal Hilfe. Und manchmal sei es am klügs-ten, sich vom Tatort zu entfernen und selber Hilfe zu holen.

Lünse, der als studierter Sozialwirt zusammen mit einer Psychologin, einer Erziehungswissenschaftlerin und einem Theologen im Team die Fortbildung betreibt, hat selber schon mal eine Gewaltsituation aufgelöst. Zwei Junkies hatten einen Lebensmittelhändler überfallen und diesen mit einem Messer bedroht. Lünse konnte selber nichts tun, weil er ein Kind auf dem Arm hielt. Forderte aber einen kräftigen Passanten auf, den Messerhalter festzuhalten. Der Kaufmann konnte sich aus der Umklammerung befreien, die Täter flohen. „Es geht nicht darum, sich zum Helden zu machen“, sagt der Fortbilder. Wohl aber, den Tätern die Regie zu entziehen.

Das Institut im CVJM-Haus an der Alster wurde vor zwei Jahren auf Initiative sieben größerer Bildungseinrichtungen wie „Arbeit & Leben“ und „umdenken e.V.“ ins Leben gerufen, um in Hamburg ein „Netzwerk für Zivilcourage“ zu bilden. Auslöser war die Debatte um die innere Sicherheit – ein bedrohter Jugendlicher beging in Neuwiedenthal Selbstmord, eine junge Frau wurde in der S-Bahn sexuell genötigt und keiner half –, in der die CDU eine Ausweitung der Polizeistationen forderte. Für das ikm-Team keine Lösung.

Sie setzen neben der Erziehung zur Zivilcourage noch auf ein weiteres Standbein: die Mediation. Ein Verfahren, das dazu dient, bei zwei verfeindeten Kontrahenten den Streitgegenstand herauszuarbeiten. „Am Ende“, so Lünse, „bleibt dann meistens nicht das Manko der anderen Person, sondern der Auswuchs der eigenen Wut.“

Ab November bietet das ikm für Pädagogen und firmeninterne Fortbilder erstmals eine berufsbegleitende Grundausbildung zum Mediator und Zivilcouragelehrer an, die als Bildungsurlaub anerkannt wird. Interessierte können sich am 12. September um 18 Uhr im ikm-Büro An der Alster 40 auf einem Info-Abend ein Bild machen; telefonische Anmeldung unter 040/28 40 95 17.

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