Ministerin Ulla Schmidt über Gesundheitsreform: "Gesundheit wird teurer"

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) plant eine neue Reform im Sozialsystem: den Gesundheitsfonds. Medizinischer Fortschritt und der Alterungsprozess führten zu Mehrausgaben, sagt die Ministerin.

Für Kassenmitglieder müssen auch die neuen Therapien zu Verfügung stehen - Krebsbehandlungsraum bei der der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Bild: dpa

taz: Frau Schmidt, haben Sie verdrängt, dass die SPD die vergangene Bundestagswahl wegen Hartz IV verloren hat?

Ulla Schmidt: Wie kommen Sie darauf?

Ulla Schmidt, geboren 1949, SPD-Mitglied und seit 2001 Bundesministerin für Gesundheit. Teil ihrer Gesundheitsreform 2003 war die umstrittene Einführung der Praxisgebühr.

Ulla Schmidt steht derzeit im Zentrum eines Sturms, der über Krankenhäuser, Ärzte sowie Krankenkassen und deren Versicherte hinwegfegt. Denn zum Januar 2009 treten viele Teile der von Schwarz-Rot 2006 beschlossenen Gesundheitsreform in Kraft, und mit jedem von ihnen gibt es Ärger. Ein staatlicher Gesundheitsfonds soll die künftig einheitlichen Beiträge der 70 Millionen gesetzlich Versicherten einsammeln. Den Fonds halten selbst SPDler für unnütz. Die Gesundheitsministerin steht jedoch dazu, ist er doch ein Prestigeprojekt der Kanzlerin. Vor allem aber könnten Union wie SPD den Fonds als Mittel benutzen, um bei Gelegenheit ihre gegensätzlichen Visionen umzusetzen: einkommensabhängige "Bürgerversicherung" bei den Roten, "Kopfpauschale" bei CDU/CSU. Ab 2009 erhalten zudem Ärzte und Krankenhäuser mehr Geld von den Kassen. Matthias Lohre

Weil Sie pünktlich zur nächsten Wahl schon wieder eine umstrittene Großreform im Sozialsystem einführen wollen: den Gesundheitsfonds.

Der Fonds hat mit Hartz IV nichts zu tun, das lässt sich nicht vergleichen. Jetzt geht es darum, die Kassenbeiträge für alle fair zu machen.

Die Mehrheit der Versicherten wird im Wahljahr höhere Beiträge bezahlen. Derzeit verlangt die billigste Kasse 11,8 Prozent, der künftige Einheitssatz wird bis zu 15,8 Prozent betragen.

Zurzeit bezahlt ein Mitglied der teuersten Kasse für dieselben Leistungen fast ein Drittel mehr als das Mitglied der billigsten Kasse. Das ist zutiefst unfair. Der Fonds hat mit höheren Beiträgen nichts zu tun. Gesundheit wird teurer, weil Menschen älter werden - und weil es zum Glück neue Therapien und Arzneien gibt, die eben auch Geld kosten.

Warum dann der Fonds, wenn sich dadurch gar nichts ändert?

Ohne Reform würden vor allem die Beiträge jener Kassen weiter steigen, in denen besonders viele alte und kranke Menschen versichert sind. Die Spanne zwischen den teuersten und den billigsten Kassen würde sich rasant vergrößern. Das kann ich nicht zulassen.

Ihre Kollegin Ursula von der Leyen sagt, dann sollen die Menschen halt in die billigsten Kassen wechseln.

Auch die Versicherten sollen sich preisbewusst verhalten. Das hat aber mit Kassenboykott nichts zu tun. Ich rate dazu, sich künftig die Angebote der Kassen genau anzuschauen. Hat eine Kasse etwas Besonderes gegen koronare Herzbeschwerden im Programm, etwas gegen Diabetes oder etwas für Familien mit kleinen Kindern? Danach wird bei einem allgemeinen Beitragssatz entschieden - und natürlich danach, ob eine Kasse gut mit den Beiträgen wirtschaftet.

Unter Rot-Grün wollten Sie den Durchschnittsbeitrag auf weniger als 13 Prozent senken. Haben Sie dieses Ziel endgültig aufgegeben?

Damals waren die Kassen hoch verschuldet, und die Einnahmen gingen in den Keller. Ohne rot-grüne Reformen lägen die Beiträge heute viel höher.

Inzwischen haben wir mehr Wachstum und Beschäftigung. Trotzdem steigt der Beitragssatz.

Die Gehälter in den Krankenhäusern steigen, die Honorare der Ärzte, die Preise neuer Arzneimittel. Gönnen Sie den Krankenschwestern etwa keine Tariferhöhungen?

Sie haben den Ärzten 10 Prozent mehr Honorar in Aussicht gestellt. Bezahlt werden müssen diese 2,5 Milliarden Euro von den Versicherten - ohne dass sie dafür mehr bekommen.

Ich habe gesagt, dass nach Ansicht von Experten eine Summe in dieser Größenordnung notwendig ist. Wichtig ist vor allem: Ein Arzt muss wissen, was er für eine bestimmte Behandlung bekommt. Die genaue Honorarhöhe müssen Ärzte und Kassen unter sich aushandeln.

Bislang waren Gesundheitsreformen dazu da, Kosten zu begrenzen. Ist die schwarz-rote Reform die erste, die bewusst die Ausgaben erhöht?

Der medizinische Fortschritt führt zu Mehrausgaben, das galt für jede Reform. Beim letzten Mal wurde zum Beispiel ein Rechtsanspruch auf Rehabilitation für Ältere eingeführt. Das ist notwendig, damit die Menschen so lange wie möglich selbstständig leben können.

Das Gesundheitssystem wird immer teurer, und das ist auch gut so?

Nein. Aber ein Mehr an medizinischem Fortschritt und älteren Menschen kann nicht zu einem Weniger an Ausgaben führen. Die Diskussionen der Zukunft werden nicht darum gehen, ob jemand vielleicht 5 Euro mehr im Monat bezahlen muss. Es wird darum gehen, dass zum Beispiel neue Therapien in der Krebsbehandlung, die sehr viel Geld kosten, weiterhin jedem Patienten zugutekommen - ohne Ansehen von Person und Geldbeutel. Das ist mein Ziel.

Haben wir bald einen Beitragssatz von 20 Prozent?

Wie kommen Sie darauf? Deutschland hat von allen Industrieländern den niedrigsten Kostenanstieg im Gesundheitswesen. Daran werden wir weiter arbeiten. Die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln hilft, Ausgaben zu begrenzen. Sehr teure Behandlungen sollen nur noch verschrieben werden, wenn eine zweite Meinung von Spezialisten eingeholt wird. Die Krankenkassen handeln Rabattverträge aus. Da kommt eine Menge an Möglichkeiten zusammen.

Ist das Ihre Lehre aus der letzten Bundestagswahl: Dass es wichtiger ist, Patienten und Ärzte zufriedenzustellen, statt dem Ruf der Arbeitgeber nach niedrigen Beiträgen zu folgen?

Auch bei früheren Reformen ging es darum, eine gute Versorgung zu sichern. Richtig zufriedenstellen werden Sie sowieso keinen, das kann ich Ihnen nach fast acht Amtsjahren versichern. Aber ich stehe heute noch zu dem, was wir unter Rot-Grün in der Gesundheitspolitik gemacht haben. Wer so tut, als hätte man etwa auf die Praxisgebühr verzichten können, der verdrängt die Probleme. Richtig ist aber auch: Mehr Einschränkungen bei den Leistungen können wir den Versicherten nicht zumuten.

Sie haben derzeit die undankbare Aufgabe, ganz allein den von Schwarz-Rot beschlossenen Gesundheitsfonds zu verteidigen.

Das sehe ich nicht so. Vergessen Sie die Frau Bundeskanzlerin nicht!

Angela Merkel beschäftigt sich derzeit lieber mit Außenpolitik oder dem bevorstehenden Bildungsgipfel. Wird sie Ihnen öffentlich beistehen, wenn es im Winter hart wird?

Davon gehe ich aus. Ich habe allerdings nicht oft erlebt, dass gemeinsame Gesundheitsbeschlüsse immer verteidigt worden sind. Bei der Praxisgebühr wollte die Union zuerst, dass die Versicherten bei jeder Behandlung 10 Prozent der Kosten selber tragen. Nachher hat sie so getan, als hätte sie nicht einmal mit den 10 Euro etwas zu tun. Da wünschte ich mir mehr Menschen mit dem Stehvermögen von Kurt Beck, der zu 100 Prozent vertritt, was einmal beschlossen ist.

Bleibt die Verantwortung für den ungeliebten Fonds wieder mal bei der SPD hängen?

Was heißt hier "ungeliebt"? Wir wollen die Bürgerversicherung, und der Gesundheitsfonds ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Wie wollen Sie die Bürgerversicherung denn durchsetzen? Bauen Sie auf eine rot-rot-grüne Mehrheit?

Nein, ich setze auf Rot-Grün. Die Bürgerversicherung wird kommen, das liegt in der Logik der Dinge. Die Privatversicherung wird in den kommenden zehn Jahren von selbst nach Reformen rufen, weil sie kaum ohne einen Risikoausgleich bestehen kann. Bis in die 90er-Jahre gingen viele Privatversicherte kurz vor dem Ruhestand in die gesetzliche Kasse zurück, weil die Beiträge dort niedriger waren. Das geht heute nicht mehr, deshalb erhöht sich die Zahl alter und kranker Versicherter jetzt auch bei den privaten Kassen.

Nachdem die Privaten jahrzehntelang profitiert haben, werden die Verluste wieder einmal sozialisiert?

Ich will nichts sozialisieren, ich will eine gerechtere Verteilung. Irgendwann wird sich die Einsicht durchsetzen, dass eine gute Gesundheitsversorgung nur funktioniert, wenn alle in einem Land zu den gleichen Bedingungen versichert sind. Für alles, was nicht medizinisch notwendig ist, was der Einzelne aber trotzdem gern abgesichert hätte, kann es weiter private Zusatzversicherungen geben. Manager von Privatversicherungen, die unternehmerisch denken, sagen das schon jetzt.

Wird beim Fonds organisatorisch alles klappen? Bei der Hartz-Reform gab es mit 4 Millionen Betroffenen ein großes Chaos, jetzt geht es um 71 Millionen Versicherte.

Das ist eine Phantomdebatte. Schon heute findet ein Risikoausgleich zwischen allen Kassen statt, er ist aber viel komplizierter und noch dazu sehr unvollständig. Das wird mit dem Gesundheitsfonds einfacher. Heute muss jedes größere Unternehmen in seiner Lohnbuchhaltung mehr als hundert Kassen mit unterschiedlichen Beitragssätzen bedienen. In Zukunft zahlt es einen einzigen Beitragssatz für alle.

Wenn das alles so einfach ist mit dem Gesundheitsfonds, warum sind dann alle so nervös?

Ich bin überhaupt nicht nervös.

Auch innerhalb des Koalitionslagers bezweifeln viele, dass man das unbedingt im Wahljahr machen muss.

Ich halte die Wähler nicht für unmündig. Sollte ich etwa sagen: Nächstes Jahr ist Wahl, deshalb machen wir das nicht - aber danach gehts direkt los?

Es gibt auch moderate Kritiker, die sagen: Man muss die unterschiedlichen Teile nicht alle gleichzeitig einführen, um das Risiko zu minimieren.

Als wir die Reform vor zwei Jahren beschlossen haben, fanden viele sie zu klein. Jetzt soll sie zu groß sein? Haben Sie eine einzige Gesundheitsreform erlebt, bei der nicht alle gesagt haben: Es wird schrecklich? Als wir in den Krankenhäusern die Fallpauschalen eingeführt haben, wurde über Entlassungen mit blutigen Verbänden geschwafelt. Wenn sich die Angstmacher durchsetzen würden, geschähe nie etwas.

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