Minderheitenrechte in Österreich: Friedensabkommen für Kärnten
In Ortschaften mit slowenischem Bevölkerungsanteil werden alle Ortsschilder zweisprachig. Kärntens Deutschnationale lenken nach langem Streit endlich ein.
WIEN taz | Kärnten wird befriedet, ein uralter Streit um Ortstafeln geht zu Ende. Im zweiten Anlauf gelang Dienstagabend eine Einigung über die Minderheitenrechte in den gemischtsprachigen Gebieten in Österreichs südlichstem Bundesland. 164 Ortstafeln in 24 Gemeinden sollen deutsch/slowenische Aufschriften erhalten. Die von Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) in die Wege geleitete Lösung wird von der in Kärnten regierenden Haider-Nachfolgepartei FPK (Freiheitliche in Kärnten) und von den drei Slowenenverbänden getragen. Die deutschnationalen Heimatverbände verzichten auf Mobilisierungen dagegen.
56 Jahre nachdem die abziehenden Besatzungsmächte die Minderheitenrechte in einem Staatsvertrag verankert hatten, darf die slowenische Minderheit jetzt auf deren Erfüllung hoffen. Vor dem Sommer soll der Nationalrat die in einem Memorandum festgehaltene Einigung als Verfassungsgesetz beschließen.
Generationen von Politikern waren an dem Konflikt gescheitert. Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ), der vor bald 40 Jahren zweisprachige Schilder aufstellen ließ, provozierte den Zorn der Heimatverbände, die einen Ortstafelsturm inszenierten und die Tafeln wieder abrissen.
Jörg Haider hatte mit der Verhöhnung des Verfassungsgerichtshofs, der auf Erfüllung des Staatsvertrags drängte, erfolgreich Politik gemacht. Auch Gerhard Dörfler, sein Nachfolger als Landeshauptmann von Kärnten, hatte im Wahlkampf vor zwei Jahren seiner Klientel noch versprochen, in der Frage hart zu bleiben. Jetzt lässt er sich als Vater des Kompromisses feiern.
Die Anzahl der zweisprachigen Ortsschilder errechnet sich aus jenen Ortschaften, wo bereits solche Tafeln stehen, jene, für die der Verfassungsgerichtshof deren Aufstellung angeordnet hat und weiteren Dörfern, wo mindestens 17,5 Prozent slowenischsprachige Menschen leben - die goldene Mitte zwischen den Extrempositionen von 10 respektive 25 Prozent.
Förderungen für slowenische Kindergärten und Kulturvereine
Diese Prozentzahl wird jedoch nicht ins Gesetz geschrieben, da man sich in den Verhandlungen darauf einigte, einzelne Ortschaften, wo trotz geringeren Bevölkerungsanteils die slowenische Kultur besonders lebendig ist, hineinzunehmen und dafür andere, die den Kriterien entsprechen würden, draußen zu lassen. An dieser Frage war eine erste Einigung Anfang April gescheitert. Der größte Slowenenverband, der Rat der Kärntner Slowenen, hatte sich quergelegt.
Neben der überfälligen Aufstellung der Ortstafeln wurden auch Förderungen für slowenische Kindergärten und Kulturvereine beschlossen. Konfliktpotenzial bergen zwei Punkte: In den zweisprachig ausgeschilderten Ortschaften, jedoch nicht in allen Teilen der jeweiligen Gemeinde, soll Slowenisch als zweite Amtssprache zugelassen werden. Damit meinte Dörfler, seine deutschnationalen Anhänger beschwichtigen zu müssen.
Die zweite Fußangel ist eine regionale Volksbefragung über den Kompromiss, die für Dörfler nicht verhandelbar war. Sie ist zwar unverbindlich, könnte aber in jenen Gemeinden, wo sie ablehnend ausfällt, den Zwist verlängern. Immerhin zeigten sich alle Parteien mit der Lösung zufrieden und wollen sie bei ihrer Wählerschaft entsprechend bewerben.
Der für Außenstehende mit unerklärlicher Bitterkeit geführte Zwist hat seine Wurzeln im Ersten und Zweiten Weltkrieg. 1919 wurde Südkärnten zunächst dem neuen Staat der Südslawen zugeschlagen und kam erst nach einem blutigen Abwehrkampf und einer Volksabstimmung zur Republik Österreich. Während der NS-Zeit wurden Tausende Slowenen ausgesiedelt. Viele schlossen sich daher den kommunistischen Partisanen unter Marschall Tito an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren