Minarette in Berlin: Zeichen der Akzeptanz
Berlins Muslime reagieren gelassen auf das Anti-Minarett-Votum der Schweizer. Die Türme sind für sie eher emotional als politisch von Bedeutung.
"Im ersten Moment war es ein Schock", sagt Lydia Nofal über das Ergebnis der Volksabstimmung gegen Minarette in der Schweiz. Nofal, Deutsche und Muslima, ist Vorstandsmitglied von Inssan, einer Organisation von Berliner Muslimen verschiedener Glaubensrichtungen und ethnischer Herkünfte. Auswirkungen der Schweizer Abstimmung auf Berlin fürchtet sie nicht: "Die Menschen hier sind sehr viel weltoffener, Religionsfreiheit wird geachtet. Ich glaube nicht, dass uns Ähnliches blüht", sagt Nofal.
Wie sie denken viele Berliner Muslime. Etwa 80 islamische Gemeinden und Gebetsräume gibt es hier, aber nur drei Moscheen mit klassischen Minaretten. 200.000 Muslime bilden nach den evangelischen und katholischen Christen die drittgrößte Religionsgemeinschaft. Dass eine Volksabstimmung in Berlin ähnlich ausgehen könnte, fürchtet kaum jemand von ihnen.
"Berlin ist sehr tolerant", sagt Mahmoud Bargouth, zweiter Vorsitzender der Moschee "Haus der Weisheit" in Moabit. Es gebe viel Kontakt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, meint der 31-jährige Student der Sozialpädagogik: "Man kennt sich von der Arbeit, der Schule, dem Studienplatz." Das baue Vorurteile ab.
Burhan Kesici, Vizepräsident der Islamischen Föderation Berlin (IFB), ist skeptischer. Die IFB ist ein Dachverband von zwölf vor allem von Muslimen türkischer Herkunft besuchten Moscheen. "Ich habe diese Entscheidung in der Schweiz nicht für möglich gehalten - und ich würde es nicht wagen, eine Prognose für eine entsprechende Abstimmung hier abzugeben", sagt Kesici. Die IFB ist vor einigen Jahren mit einem Moscheebauprojekt am Kottbusser Tor gescheitert. "Es hieß damals, die Moschee passe dort nicht ins Stadtbild", so Kesici. Nun baut die Föderation in der Falckensteinstraße. Auf dem Dach des Gebäudes, das in der Höhe an die Wohnhäuser der Straße angepasst ist, entsteht ein kleines Minarett. Kesici ärgert die politisch aufgeladene Diskussion um die Moscheetürme: "Wir wollen mit den Minaretten doch nicht provozieren, sondern ankommen", sagt er.
So sieht es auch Mahmoud Bargouth: "Man muss Minarette ja gar nicht sehr hochbauen." Aber als Berliner Muslim sei es "ein sehr schönes Gefühl", hier in der Stadt ein Minarett zu sehen: "Für mich ist das ein Zeichen der Akzeptanz meiner Religion." Ähnlich formuliert es Pinar Cetin. Die Politologiestudentin führt Besuchergruppen durch Berlins Vorzeigemoschee: Die Sehitlik-Moschee in Neukölln verfügt neben der typischen Kuppel über zwei fast 30 Meter hohe Minarette. "Ich bin deutsche Muslima, ich bin hier geboren, ich werde hier bleiben", sagt Cetin: "Minarette zeigen mir: Jetzt gibt es hier auch meine Moschee."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften