: Mimikry
■ betr.: "Aachen - Zentrum des fundamentalistischen Islams?", taz vom 12.9.90
betr.: „Aachen — Zentrum des fundamentalistischen Islams?“, taz vom 12.9.90
Um es vorauszuschicken: ich bin kein sonderlicher Freund kirchlicher Neubauten, gleichgültig was ihr religiöser Hintergrund ist und ob in Aachen oder anderswo. Was mich jedoch empfindlich stört, ist die wörtlich zitierte Abscheu des dortigen Geschäftsführers der Grünen, der sich von den Initiatoren eines Moscheebaus deswegen besonders „belogen und betrogen“ fühlt, „weil diese immer so moderat, so liberal, höflich und unterwürfig“ auftraten. Das scheint denn doch die Höhe, wenn die Fremden, sich klassisch der kolonialen Mimesis bedienend, jenes Gesicht aufsetzen, das der Erwartungshaltung desjenigen entspricht, mit dem sie als Europäer reden. Uns mit unseren eigenen Tricks hereinlegen, das gilt als der Gipfel der Verlogenheit, obwohl es von den Betroffenen tagtäglich erzwungenermaßen gefordert wird. Schon die Überschrift suggeriert die Wut des in Ansehung seiner eigenen Mimikry Getroffenen: „Aachen — Zentrum des fundamentalistischen Islams?“, das bekanntlich da nicht hingehört, sondern in den Nahen Osten. Wobei solche Verwunderung keine Feststellung mehr darüber zuläßt, daß die ewig „Unterwürfigen“ sich die Kultstadt des Europagedankens nicht einfach so aussuchten, sondern erst aufsuchten, nachdem die syrische Regierung Tausende von ihnen ermordet hatte.
Bleibt der empörte Vorwurf des Aachener Grünen, in der Moschee würden religiöse mit politischen Dingen „vermischt“ — deshalb: kein Neubau! Niemand von diesen höflichen und liberalen neudeutschen Politikern käme ernsthaft auch nur für eine Minute auf den Gedanken, den Bau einer katholischen Kirche unter Hinweis auf die menschenverachtende Afrikapolitik des Papstes zu verweigern.
Merke: Liberal ist, wer für alle Seiten Gleiches konzediert. Alles andere ist, wenn auch unwillentlich, rassistisch. Hans Branscheidt, medico international, Frankfurt/Main
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