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Millionen gegen Berlusconi

Rom erlebte am Samstag die größte Demonstration seit Ewigkeiten. Die Teilnehmer protestierten auch gegen den jüngsten Anschlag und seine politische Ausbeutung durch die Regierung

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Vater“ – „Sohn“: Eigentlich hätten die beiden sich die um den Hals gehängten Pappschilder sparen können. Ein Blick in die Gesichter des Mittvierzigers und des Vierzehnjährigen an seiner Seite hätte vollkommen genügt, um auf einen engen Verwandtschaftsgrad zu schließen. Aber die beiden wollten eine politische Botschaft loswerden. Seit Wochen schon nämlich schmäht Italiens Rechtsregierung den gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes als „Protest der Väter gegen die Söhne“.

Am Samstag erlebte Rom die Antwort, vorgetragen von Millionen. Mit einer Million Demonstranten hatte der größte Gewerkschaftsbund des Landes, die CGIL, gerechnet, doch diese Zahl wurde weit übertroffen. 1,5 Millionen (Berlusconis TV-Sender Canale 5), 2 (Corriere della Sera) oder 3 (die CGIL)? Eigentlich unerheblich, denn in einem Punkt sind sich alle einig: Italien sah die größte Demonstration seit Menschengedenken.

Schon am frühen Morgen hatte die friedliche Invasion begonnen, als die 60 Sonderzüge, die über 9.000 Busse an den Sammelpunkten eintrafen. Schon um 12 Uhr war das unermesslich weite Feld des Circus Maximus gefüllt. Die Mehrheit der Demonstranten war aber immer noch teils mehrere Kilometer vom Kundgebungsort entfernt.

Es waren so viele, weil die Söhne und Töchter nicht recht einsehen mochten, dass ausgerechnet im Verzicht auf Rechte der Schlüssel zur Zukunft liegen soll. Seit Jahren war keine Gewerkschaftsdemonstration so „jung“. „Articolo 18 – non ci sto“, „Artikel 18 – nicht mit mir“ war die Losung, die alle zusammenhielt. Außer Kraft setzen will Berlusconi eben jenen Artikel des italienischen Betriebsverfassungsgesetzes; die Suspendierung soll zunächst „experimentell“ gelten für neu Eingestellte in Kleinbetrieben, für Leute, deren Zeit- in unbefristete Verträge umgewandelt werden, und für bisher illegal Beschäftigte, die einen regulären Arbeitsvertrag erhalten.

Alle Gewerkschaften hatten diesem Anliegen widersprochen, die katholische CISL genauso wie die UIL, deren Mitglieder und Funktionäre zwischen Anhängern des Berlusconi-Lagers und der Opposition gespalten sind. Aber nur der größte Bund, die linke CGIL, hatte sofort Proteste organisiert. Umso deutlicher ist jetzt der Erfolg der CGIL, die am Samstag mehr Menschen nach Rom brachte, als es je den drei Bünden zusammen gelungen ist.

Das lag daran, dass außer UIL und CISL alle kamen: Neben dem harten Kern der Gewerkschafter war die gesamte Mitte-links-Opposition angetreten, friedlich an der Seite der feindlichen Brüder von „Rifondazione Comunista“. Vor allem waren auch die gekommen, die sich in den Parteien nicht wiederfinden. Der Block der No-Globals zählte an die 200.000 Teilnehmer. Auch die in den letzten Monaten entstandene, in der urbanen, gebildeten Mittelklasse verwurzelte Bewegung der „Girotondi“, der von unten organisierten Anti-Berlusconi-Proteste, hatte sich komplett in Rom eingefunden. So marschierten Lehrer neben Arbeitslosen, Schüler neben Metallern, Rentner neben Studenten.

Sie alle hatten eigentlich ein „Fest der Rechte“ feiern und „mit einem Lächeln“ – so der CGIL-Vorsitzende Sergio Cofferati – Berlusconis Pläne durchkreuzen wollen. Aus dem Fest wurde nichts, da die Roten Brigaden mit ihrem am Dienstag verübten Mord an Marco Biagi, dem Chefberater des Arbeitsministers, blutig in die laufende Kontroverse eingegriffen hatten. Stattdessen wurde die Demo zur radikalen Absage an den Terror – beeindruckend die absolute Stille, die sich während der Schweigeminute über die kilometerweit dicht gedrängte Masse senkte.

Die Kundgebung wurde auch zur Absage an die, die den Terrorakt politisch ausbeuten und in ein Protestverbot ummünzen wollen. Noch am Freitag hatte Berlusconi eine auf allen Kanälen ausgestrahlte Fernsehrede gehalten, in der es offiziell um den Terrorismus ging. Den Roten Brigaden hatte der Regierungschef aber merkwürdigerweise nur vorzuwerfen, dass sie „gegen die Regierung“ seien – bisher galt auch in Italien die Sprachregelung, dass Terror ein Angriff auf den Staat ist. Berlusconis Logik: Wer jetzt noch „gegen die Regierung“ protestiert, demonstriert „gegen Marco Biagi“ – und findet sich ruckzuck als Terrorhelfer eingestuft. Zwei-, dreimillionenfach erfolgte am Samstag die Antwort. Den stärksten Applaus erhielt Cofferati, als er Berlusconi vorwarf, er beleidige nicht nur die CGIL, sondern auch „die Intelligenz der Italiener“. Und gleicher Applaus kam auf, als Cofferati den nächsten Schritt ankündigte: den Generalstreik.

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