Millionäre fordern Vermögensabgabe: "Wir sind keine naiven Spinner"
23 reiche Deutsche haben einen Appell unterzeichnet, in dem sie eine Vermögensabgabe von 5 Prozent pro Jahr fordern. Prominente sind nicht dabei. Einer von ihnen ist Dieter Lehmkuhl.
Dieter Lehmkuhl ist es nicht leicht gefallen, sich zu outen. Eigentlich soll niemand wissen, dass er wohlhabend ist. Aber nun sitzt der 66-Jährige auf einer Pressekonferenz, vor einem Saal voller Hauptstadtjournalisten, und bricht ein Tabu: Als Vermögender fordert er, dass die Vermögenden mehr Steuern zahlen sollen.
Wie viele? Laut dem Global Wealth Report der Boston Consulting Group besaßen zum Jahresende 2008 mehr als 400.000 Deutsche ein Vermögen von einer Million Euro und mehr. 122 Personen beziehungsweise Familien verfügten über ein Vermögen von mehr als einer Milliarde Euro.
Wer? Die jährlich im Managermagazin veröffentlichte Liste der reichsten Deutschen führen unverändert die Brüder Karl und Theodor Albrecht (Aldi) an, gefolgt von der Porsche-Familie sowie Dieter Schwarz, dem die Discounterketten Lidl und Kaufland gehören.
Wie viel? Das Vermögen der Albrecht-Brüder wird auf jeweils 17 Milliarden Euro geschätzt, das der Porsches beläuft sich auf 15,5 Milliarden, Dieter Schwarz schafft es nur auf 11 Milliarden.
Wo? Die meisten Einkommensmillionäre leben in Hamburg.
"Wir sind keine naiven Spinner", ist sein erster Satz. Das stand nicht im Redemanuskript, sondern ist ihm spontan herausgerutscht. Aber in diesem einen Satz kondensiert sich, wie viel Misstrauen Reichen entgegenschlägt, wenn sie sich solidarisch zeigen wollen. Nicht nur die anderen Vermögenden staunen, auch die Normalbürger sind irritiert.
Konkret fordert Lehmkuhl eine Vermögensabgabe, die jeder zu bezahlen hat, der mehr als 500.000 Euro besitzt. Sie soll jeweils 5 Prozent vom Vermögen in den Jahren 2009 und 2010 betragen und würde mindestens 50 Milliarden Euro einbringen. Für Lehmkuhl ist das nur gerecht: "Vom Boom an den Finanzmärkten haben vor allem die Reichen profitiert, nun sollen sie auch die Zeche zahlen."
23 Vermögende haben den Appell unterschrieben. Doch nur 9 geben sich wie Lehmkuhl mit ihrem Namen zu erkennen. Die meisten Vermögenden wollen anonym bleiben. Sie fürchten Konflikte mit den Angehörigen oder haben Sorge, sie könnten von Spendenanfragen überschwemmt werden.
Prominente sind nicht unter den Unterzeichnern. Aber darauf legt es der Appell auch gar nicht an: "Wir sind die normalen Vermögenden von nebenan", erklärt der Philosoph Bruno Haas, der ebenfalls zu den Initiatoren gehört.
Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) jüngst erhoben hat, ist das Vermögen in Deutschland extrem ungerecht verteilt. Allein beim reichsten Hundertstel konzentrieren sich 23 Prozent des gesamten Besitzes. Die obersten 5 Prozent verfügen über 46 Prozent - und das reichste Zehntel kontrolliert 61,1 Prozent. Damit hat die Ungleichheit weiter zugenommen. Denn umgekehrt besitzen die untersten 70 Prozent fast gar nichts, nämlich nur knapp 9 Prozent des Gesamtvermögens.
Der Staat hat diese Spaltung in Arm und Reich sogar noch verschärft, indem er die Vermögenden systematisch begünstigt hat. Zum Beweis muss Lehmkuhl nur seine Steuerunterlagen ansehen: Zwischen 2000 und 2007 legte sein Vermögen um 25 Prozent zu, die Kapitalerträge stiegen gar um 50 Prozent - aber seine Steuerlast sank um die Hälfte.
Deswegen fordert der Appell nicht nur eine zweijährige Vermögensabgabe - anschließend soll wieder die reguläre Vermögensteuer gelten, die seit 1997 ausgesetzt ist, weil das Bundesverfassungsgericht Änderungen angemahnt hatte. In keinem anderen großen Industriestaat werden die Millionäre so geschont wie in Deutschland.
Bisher gestaltet es sich jedoch mühsam, weitere Unterzeichner für den Appell zu gewinnen. Lehmkuhl hat ihn an alle Bekannten verschickt, die über Vermögen verfügen - bisher keine Resonanz.
Sein eigenes Verhältnis zum Erbe war lange ambivalent: "Ich war nicht frei von Geiz." Als Psychiater und Psychotherapeut verdiente er zwar genug, aber er wusste auch zu schätzen, dass seine Familie Brauerei-Aktien besitzt. "Ich hatte die Freiheit, dass ich mich im Beruf nicht verkaufen musste." Gleichzeitig hatte er aber auch immer ein schlechtes Gewissen, dass sich sein Kapital ohne Arbeit wie von selbst vermehrte. Also wollte er sich lange gar nicht mit dem Erbe befassen.
Erst jetzt im Alter kann Lehmkuhl gelassen mit seinem Vermögen umgehen. "Ich will nicht sagen, dass ich auf den Tod zugehe, aber die Fragen werden grundsätzlicher." Seit einigen Jahren befasst er sich daher systematisch mit dem Problem, wie er sein Vermögen sinnvoll spenden kann. "Man braucht Kriterien", hat Lehmkuhl festgestellt, um den vielen Spendenanfragen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.
Inzwischen ist seine wichtigste Leitlinie, dass er nicht karitativ spendet - sondern strategisch. Er unterstützt Organisationen, die sich für Umwelt, Menschenrechte, Demokratie oder Frieden einsetzen. "Ich will keine Symptombekämpfung, sondern gesellschaftlichen Wandel."
Zunächst dachte er sich nichts dabei, großzügig zu spenden - bis ein Freund ihn warnte, dass er vielleicht vorher mit seinem Sohn sprechen sollte. Mit ihm hat Lehmkuhl nun eine Übereinkunft erzielt: Sein Sohn bekommt genau jene Summe, die er selbst auch geerbt hat - plus Inflationsausgleich. Ungefähr die Hälfte seines Vermögens kann Lehmkuhl also weggeben. Zur Höhe sagt er nur: "Das ist ein Bruchteil des Jahreseinkommens, das für Deutsche Bank-Chef Ackermann üblich war."
Lehmkuhl betrachtet seine Spenden als "soziales Risikokapital". Und jetzt ist er eben das Risiko eingegangen, eine staatliche Vermögensabgabe zu fordern. Auch wenn er nun immer erklären muss, warum er kein naiver Spinner ist.
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