: „Milliardenpotential“
■ Der neue Chef des DDR-Amtes für Rüstungskonversion über die bisherigen Militärbetriebe und ihre Zukunft
INTERVIEW
Berlin (adn) - Zum Leiter des am 1.Juli 1990 gebildeten Amtes für Konversion wurde am 1.August Klaus Reiche berufen. Der Diplomwirtschaftler, der 35 Jahre lang in der Filmindustrie gearbeitet hat, ist SPD-Abgeordneter in der Volkskammer und gehört dem Ausschuß für Abrüstung und Verteidigung an.
Wozu braucht die DDR ein solches Amt?
Klaus Reiche: Mit dem Stop der Rüstungsproduktion per August und der Stornierung aller Aufträge entstand eine schwierige Lage für die 42.000 Beschäftigten der betroffenen Betriebe. Es handelt sich um ein Milliardenpotential: 31 Betriebe lieferten Rüstung in Monoproduktion, darunter die Peenewerft Wolgast, das Panzerreparaturwerk Neubrandenburg und das Kombinat Spezialtechnik Dresden.
43 weitere Betriebe verfügen über beträchtliche Bereiche für derartige Fabrikationen: Erinnert sei nur an den Göschwitzer Betrieb des Zeiss-Kombinats. Die NVA hatte zudem mit einer beträchtlichen Anzahl weiterer Betriebe Lieferverträge, die nun gleichfalls storniert sind. So gesehen sind von der Konversion insgesamt etwa 80.000 Arbeitnehmer betroffen. 1988 wurden für acht Milliarden Mark der DDR Güter und Dienstleistungen zur wehrwirtschaftlichen Nutzung bereitgestellt. Der Staat steht gegenüber der Rüstungsindustrie in der Pflicht, denn er war ja bisher auch der Auftraggeber.
Wie lassen sich die Aufgaben umreißen?
Zum wichtigsten gehört, gesetzliche Rahmenbedingungen für die Konversion zu schaffen. Das Konversionsgesetz ist derzeit zur abschließenden Beratung in der Volkskammer. Ferner die Koordinierung und Kontrolle der zu vergebenen Aufträge an die Wirtschaft mit dem Ziel, militärisches Potential marktwirtschaftlich zu verwerten. Ebenso gilt unsere Aufmerksamkeit den konversionsbetroffenen Unternehmen und deren Belegschaften, Wettbewerbsfähigkeit in neuen Strukturen zu erreichen.
Andererseits müssen die entsprechenden Betriebe, die gerade in den vergangenen fünf Jahren einen bedeutenden Investitionsschub an modernsten Ausrüstungen erhielten, auf marktwirksame zivile Produktion umgestellt werden.
Eine Vielzahl von Problemen?
Denken Sie nur daran, daß zum Beispiel 300.000 Tonnen Munition der verschiedensten Art aufzuarbeiten und umweltverträglich zu beseitigen sind; daß ein ganz gewöhnlicher Truppenübungsplatz einer zwei- bis dreijährigen Rekultivierung bedarf, bevor der Boden wieder gewinnbringend landwirtschaftlich nutzbar wird.
Gibt der Entwurf des Vereinigungsvertrags schon alle erforderlichen Rahmenbedingungen?
Hier sind in den letzten Tagen Dinge in Bewegung gekommen. Das betrifft auch, noch günstiger Bedingungen für Investitionen durch bundesdeutsches und ausländisches Kapital zu sichern.
Ist der 3. Oktober Schlußpunkt oder geht die Umstellung auf Zivilwirtschaft im geeinten Deutschland weiter?
Konversion ist eine langfristige Aufgabe und wird sich noch über einen beträchtlichen Zeitraum erstrecken, also im geeinten Deutschland weitergehen. Gespräche dazu im Bundesverteidigungsministerium und dem Verteidigungsausschuß des Bundestages finden statt. Solange abgerüstet wird, wird es Konversion geben. Wir bringen erste Erfahrungen dazu auch in ein geeintes Deutschland ein.
Das Interview ist gekürzt (taz)
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