Milliardeneinsparungen im Landeshaushalt: „Nur scheinbar Geld im Überfluss“
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) drängt nach immer weiter gestiegenen Ausgaben im Landeshaushalt auf einen Mentalitätswechsel.
taz: Herr Evers, wie kann es sein, dass es vor anderthalb Jahren Geld scheinbar im Überfluss gab und nun im Haushalt 2 Milliarden fehlen und ab 2026 noch 3 weitere Milliarden?
Stefan Evers: Sie sagen es: Es gab nur scheinbar Geld im Überfluss. Der Staat hat auf die großen Krisen der letzten Jahre durchweg mit schuldenfinanzierten, milliardenschweren Ausgaben reagiert. Das gilt insbesondere für die Pandemie und ihre Folgen. Aber auch für den Ukrainekrieg und die Energiekrise. Wumms, Doppel-Wumms, Kanzler-Bazooka – diese Zeit ist vorbei. Wir haben jetzt die große Aufgabe, zu einem normalen Haushaltsniveau zurückzukehren. Wir können nicht jedes Problem mit immer mehr Geld lösen, das wir gar nicht haben.
Aber die großen Notlagenprogramme sind vorüber, Wirtschaftshilfen beendet – dann müssten die Ausgaben doch längst wieder auf Vor-Pandemie-Niveau runter sein. Was sind denn die großen Posten, die für den Milliarden-Einspardruck sorgen?
Wir beobachten in fast allen Bereichen nach wie vor deutlich höhere Staatsausgaben als vor der Pandemie. Es geht also ganz offensichtlich nicht um einzelne große Posten, die das Problem verursachen. Und nach wie vor bestehen auch Krisenprogramme fort.
Stefan Evers, 44, ist seit Ende April 2023 Finanzsenator und stellvertretender Regierungschef der schwarz-roten Koalition. In der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses, in das er erstmals 2011 gewählt wurde, hatte er sich zuvor weniger als Haushaltspolitiker denn als Experte für Stadtentwicklung einen Namen gemacht. Von 2016 bis 2023 war Evers zudem Generalsekretär der Berliner CDU.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie das Neustart-Programm für die Wirtschaft. Oder die seit Corona extrem gewachsenen Zuwendungen für Träger aller Art. Oder den Kultursommer, auf den Berlin sich wieder freut. Ein Programm, mit dem Kulturschaffende in der Pandemie unterstützt werden sollten. Wir haben in der Corona- und der sich unmittelbar anschließenden Energiekrise Hunderte von Millionen zusätzlich aufgewendet für den öffentlichen Nahverkehr – 9-Euro-Ticket, 49-Euro-Ticket, das viel diskutierte 29-Euro-Ticket.
Viel diskutiert, aber auch viel genutzt.
All das geht auf Krisenprogramme zurück. Beispiele dieser Art finden sich viele. Wir sind also noch weit vom haushaltspolitischen Normalmodus entfernt. Hinzu kommen überall deutlich höhere Sach- und Personalkosten als in der Vergangenheit.
Wobei das ja zwei Dinge sind: einerseits bewusste Entscheidungen, Geld auszugeben, andererseits der Zwang, mehr für Strom bezahlen zu müssen oder an einen höheren Tarifvertrag gebunden zu sein.
Das ist so. Höhere Preise, höhere Zinsen, Deutschlands Wirtschaftsschwäche, der Arbeitskräftemangel: All das macht die Aufgabe noch größer und schwerer. Aber nicht weniger dringend.
Das 29-Euro-Ticket kostet das Land Berlin zwar 300 Millionen. Aber das ist nur ein Bruchteil der einzusparenden fünf Milliarden. Wo ist der große Rest? Tatsächlich in vielen nicht mehr haltbaren oder zu großen Einzelposten?
Das ist genau, was ich meine: Allein der Verzicht auf einzelne große Maßnahmen wird das Haushaltsproblem nicht lösen können. Deshalb stehen alle Senatsverwaltungen in der Verantwortung, einen Beitrag zu leisten.
Da könnte man mutmaßen, dass nicht die Ausgaben zu hoch sind, sondern die Einnahmen schlicht eingebrochen sind. Falsch, war schon von Rechnungshofchefin Karin Klingen zu hören: Die Einnahmen hätten sich normal weiterentwickelt. Hat sie recht?
Ja, vollkommen richtig. Berlin hat kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Die Steuereinnahmen haben sich trotz aller Krisen stabil entwickelt, Berlin hebt sich sogar positiv vom Bundestrend ab. Allerdings wird Deutschlands aktuelle Wachstumsschwäche auch an uns nicht spurlos vorbeigehen. Von der Steuerschätzung Ende dieser Woche erwarte ich keine Wunder, sondern eher schmerzhafte Mindereinnahmen. Das nur als Warnung an alle, die in Gedanken schon Wunschzettel schreiben.
Es ist das Abrupte dieser Kehrtwende, das so verblüfft. Noch im August 2022 war ein taz-Interview mit Raed Saleh, damals wie heute SPD-Fraktionschef, mit seinem Satz „Das Geld dafür ist da“ überschrieben. Seine Argumentation: Der Staat sei der größte Inflationsgewinner und müsse das Geld wieder zurückgeben.
Es hat leider keine wundersame Vermehrung unserer Steuereinnahmen gegeben, aber immerhin eine stabile Entwicklung.
Für Grünen-Fraktionschefin Jarasch steht Berlin so schlecht da wie seit dem Bankenskandal von 2001 nicht mehr.
Vermutlich hat sie vergessen, von wem wir Berlins Milliardendefizit übernommen haben. Aber das Schwarze-Peter-Spiel hilft keinem weiter. Es ist schlicht und ergreifend die Aufgabe dieser Koalition, die Staatsausgaben von ihrem historischen Höchststand auf ein beherrschbares Normalmaß zurückzuführen.
Für manche ist das nur eine beschönigende Umschreibung für einen sozialen Kahlschlag.
Normalisierung bedeutet nicht Kahlschlag. In den Jahren bis 2019, also vor der Ausgabenexplosion, hat der Sozialstaat ja auch funktioniert. Aber natürlich muss es eine Entwöhnung geben, die manche als schmerzhaften Entzug erleben. Letztlich helfen gesunde Staatsfinanzen aber allen.
Die Krise 2002 hat einer Ihrer Vorgänger bereinigt, Thilo Sarrazin, der damals noch nicht viel kritisierter Buchautor, sondern geschätzter Finanzexperte war. So drastisch sein Sparpaket auch war: Sein Regierungschef Klaus Wowereit hat ihn stets gestützt. Wie ist es bei Ihnen und Kai Wegner: Haben Sie seine volle Unterstützung?
Selbstverständlich. Der Regierende Bürgermeister kennt die Herausforderung, vor der wir stehen, und er weiß auch, dass wir diese Kraftanstrengung als Senat und Koalition nur gemeinsam meistern können.
Zu den Methoden Sarrazins gehörte, seinen Kollegen im Senat vorzurechnen, wie sie ihr Budget besser ausgeben könnten. Über Sie war jüngst in Kommentaren zu lesen: Der Stefan Evers analysiert exakt, macht aber zu wenig Druck, wirklich zu sparen.
Es gehört zum Stil der neuen Regierung, möglichst ohne öffentlichen Streit auszukommen. Sehr zum Leidwesen der Presse, wie ich weiß. Tatsächlich haben wir als Koalition gerade erst klare Verabredungen zur Haushaltskonsolidierung getroffen. Wir haben auch klare Sanktionsmechanismen beschlossen, damit sich niemand aus der gemeinsamen Verantwortung verabschieden kann.
Klare Sanktionsmechanismen? Es fliegt doch keiner raus, der nicht spart, und muss es auch nicht aus dem eigenen Portemonnaie zahlen.
Für das Jahr 2024 sind die einzelnen Senatsverwaltungen bekanntlich aufgefordert, noch 2 Prozent ihrer jeweiligen Budgets einzusparen. Wer dafür in den kommenden Wochen keine in der Koalition abgestimmten Vorschläge macht, dessen Haushalt wird von der Finanzverwaltung gesperrt. Das nenne ich einen klaren Sanktionsmechanismus. Ich bin aber nach wie vor optimistisch, dass alle ihre Hausaufgaben machen. Dann wird es dazu ja gar nicht erst kommen.
Was dennoch weiter unverständlich ist: Noch Ende November ging die Koalition den völlig entgegengesetzten Weg und einigte sich darauf, den danach beschlossenen Haushaltsentwurf um 800 Millionen aufzustocken. Was Sie nun sagen, kann doch da nicht völlig unbekannt gewesen sein.
Die Koalitionsfraktionen haben gleichzeitig wichtige Leitplanken für die Konsolidierung beschlossen. Und natürlich setzt das Parlament bei allen Haushaltsberatungen die abschließenden Akzente, dafür ist es ja Haushaltsgesetzgeber. Aber, ja, es ist auf allen staatlichen Ebenen ein Mentalitätswechsel erforderlich.
Mentalitätswechsel war schon in der Krise ab 2001 ein zentraler Begriff. Ist das von Ihnen als Zitat gemeint, wenn Sie den nun auch verwenden?
Nein. Es ist schlicht eine Bestandsaufnahme. Einen Mentalitätswechsel braucht übrigens nicht nur Berlin, das gilt auch für andere Länder und die Bundespolitik. Die Politik hat sich zu lange daran gewöhnt, auf Probleme reflexartig mit nicht vorhandenem Geld zu reagieren, anstatt sie strukturell zu lösen.
Auch beim Sarrazin-Sparpaket gab es Proteste. Aber der Spruch „Die Kinder schrei ’n, die Eltern flieh ’n, da hinten kommt der Sarrazin“ wirkt im Vergleich zur heutigen aufgeladenen Atmosphäre wie Ponyhof. Haben Sie Angst, zur Zielscheibe zu werden?
Die gesellschaftliche Polarisierung hat nichts mit der Berliner Haushaltslage zu tun. Die Ursachen dafür liegen sehr viel tiefer. Das zunehmende Misstrauen gegenüber der Politik liegt vielleicht auch darin begründet, dass kaum noch jemand den Mut zu unbequemen Entscheidungen aufbringt. Was die Staatsfinanzen angeht, bin ich überzeugt, dass die meisten Menschen es ganz gut fänden, wenn Berlin nicht mehr von ihrem Geld ausgeben würde, als es sich leisten kann.
Bei denen, die das anders sehen, konzentriert sich der Ärger aber vor allem auf den Finanzsenator – also auf Sie. Wie fühlen Sie sich da persönlich, gerade nach dem Angriff auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey?
Ich verurteile den Angriff auf Franziska Giffey und die zahlreichen Übergriffe auf politisch Engagierte auf das Schärfste. Ich glaube, dass wir alle besser auf die Art und Weise achten müssen, wie wir miteinander umgehen. Die Wortwahl ist da oft ganz entscheidend. Diskussionen werden inzwischen oft unerbittlich geführt. Für viele ist es überhaupt keine Option mehr, andere Positionen überhaupt zuzulassen. Es gibt auch kaum noch Fehler- und Verzeihenskultur. So bringt man Demokratie an ihren Kipppunkt. Gerade deshalb macht es mir Sorgen, wie Stimmungen angeheizt werden und sich dann in solchen Taten entladen. Hier müssen alle demokratischen Kräfte und Parteien entschieden dagegenhalten.
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