Militär in Russland: Zwei-Sterne-Hotel im Schützengraben
Bei einer Messe auf dem Areal Patriot vor den Toren Moskaus präsentiert der Kreml Kriegsgerät. Hier soll auch ein Erlebnispark entstehen.
Vom „Park des Sieges“ (Pobedy) in Moskau über die Minsker Chaussee ist der Bus eine Stunde unterwegs, bis er über eine zerlegbare Behelfsbrücke von „Oboronstroi“, dem militärischen Bauunternehmen, zum Areal des neuen Parks „Patriot“ abbiegt.
Dort herrscht „Anschlag“. Mit dem Lehnwort meint das Russische „Andrang“. Abertausende drängeln sich vor den Toren, um auf das Gelände der mehrtägigen Messe „Armija 2015“ zu gelangen, von wo Kremlchef Wladimir Putin in dieser Woche der Welt bekanntgab: 40 neue strategische Interkontinentalraketen werde Russland bis Jahresende anschaffen.
Mit dem Atomarsenal hatte der Oberkommandierende der russischen Streitkräfte seit der Annexion der Krim im März 2014 schon mehrmals gerasselt. Jetzt wurde er konkret. Die jungen Besucher Igor und Jewgenij freuen sich besonders über den Zusatz des Präsidenten: Raketen, die von keinem feindlichen Luftabwehrsystem aufzuhalten seien. Kurzum, etwas Einmaliges. Die beiden schwelgen in Stolz und Überlegenheit wie ihr Land. Die Nachfrage, wofür dieser Aufwand betrieben wird, wenn sie doch niemand bedroht, verstört die beiden.
Militärisch-patriotische Zone
Die Idee zu diesem Park soll Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor einem Jahr gekommen sei. Die Anlagen verteilen sich auf 5.400 Hektar. 1700 Hektar sind als „militärisch-patriotische Zone“ ausgewiesen, wo Besucher Russlands Militärgeschichte studieren, Museen besuchen oder real nachgestellte Schlachten verfolgen können, darunter auch Panzerschlachten des 2. Weltkrieges. Dazu wurden eigens Tribünen wie bei der Formel-1 errichtet, auf denen 20.000 Zuschauer Platz finden.
Militärische Profis aller Waffengattungen verfügen über eigene Areale. Selbst ein Marine-Cluster wurde angelegt. Das Modell eines russischen Helikopterträgers ist zu sehen. Paris hatte zwei bestellte „Mistral“ -Träger wegen der Krim-Sanktionen nicht ausgeliefert. Überall können sich die Messebesucher an Schießübungen beteiligen, ein Vorgeschmack auch auf die Ausbildungsmöglichkeiten des späteren Erholungszentrums.
Sascha, ein 8jähriger, ist mit der Oma gekommen und versucht sich an einer Panzerfaust, die um Köpfe länger ist als er. „Patriotismus“, „staatsbürgerliches Engagement“ und „Stolz auf die Streitkräfte“ will das Verteidigungsministerium vermitteln und natürlich auch für Nachwuchs werben. Die Ausbeute sei schon am ersten Tag nicht schlecht, freut sich ein Generalmajor der Fallschirmjäger. Eine Anstellung bei der Armee wird vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise und der geschürten Bedrohungsparanoia auf Jahre hin ein sicherer und gutbezahlter Job sein.
Die Verquickung aus Profieinrichtung und Freizeitpark verspricht ein großer Erfolg zu werden. Demnächst eröffnen in kilometerlangen Schützengräben kleine Hotels. Sie sind in Unterständen eingerichtet. Wer es komfortabler wünscht, der kann im gepanzerten Zug übernachten oder in einem Bau unter Tarnnetzen. Dazu werden Gretschka (Buchweizen) und dunkle Sauce aus der Armeekantine gereicht. Ein Herrenmenü, sozusagen.
Nur eine adäquate Antwort
Auffallend ist, wie viele junge Familien gekommen sind. Mit Buggys oder noch mit Kinderwagen. Begeistert hieven junge Mütter die Kleinen in die Fahrerkabine des riesigen Topol-M-Gefährts, der schnellsten Interkontinentalrakete der Welt. Die Titelseite der Zeitschrift der Rüstungsindustrie zeigt die letzte Topol-Entwicklung mit einem Putin-Zitat: „Wir haben nur eine adäquate Antwort“. Auch die Besucher wollen sich unbedingt vor der lenkbaren Rakete fotografieren lassen.
5.000 Produkte russischer Firmen werden auf der Messe angeboten. Die Raketen scheinen der Renner zu sein, auch wenn die Trauben vor den Exemplaren der Iskander kleiner sind. Nur wenige machen unterdessen vor der BUK halt, mit der im Juli 2014 die malaysische MH 17 über der Ukraine abgeschossen wurde. Drei Exemplare stehen dort, nur ein Satz ist komplett – mit dem zweiten Wagen, der die Kommandozentrale enthält. „Nur Leute aus dem Westen erkundigen sich genauer“, meint ein Mitarbeiter des Herstellers aus Uljanowsk. Auskunftsfreudig ist auch er nicht gerade. Vielleicht sind es die Kunden aus der Dritten Welt beim Nachbarn, auf die er noch wartet. Auch ein Raketenhersteller.
Wladimir Putin forderte bei der Eröffnung die Rüstungsindustrie auf, wieder zur Lokomotive zu werden. Wie in der Sowjetzeit, als die gesamte Produktion dem Militärischen untergeordnet war. Die zivile Gesellschaft musste mit dem vorliebnehmen, was abfiel. Viele scheinen sich wehmütig daran zu erinnern. „Volk und Armee sind eins“ hieß es in der sowjetischen Propaganda, meint die Rentnerin Valentina Gorbunowa. „Erst heute ist das Realität“, klagt sie. Präsident Putins Bikerfreund Alexander Saldostanow bestätigt dies: „In der Sowjetunion war die Armee für uns weit weg.“ Er hält es für eine gute Sache, dass die Armee jetzt romantisiert werde. Er verspürt auch Stolz angesichts der Produktpalette der Rüstungsindustrie. „Wir haben den Amerikanern etwas entgegenzusetzen. Wenn wir die Kinder nicht erziehen, machen das die USA...wie wir das gerade in der Ukraine erleben.“
Es klingt abstrus, aber er spricht vielen aus der Seele. Ein Brei aus Vorurteilen, Lügen und Unkenntnis trübt die Einsichtsfähigkeit der Menschen. Es sei ein „Disneyland der Armee“ schwärmen russische Beobachter über die Doppelfunktion des Parks. Gleichsam spielerisch wird der Besucher auch an den Tod herangeführt, den der russische Soldat ohnehin weniger fürchten soll.
Vor den Ständen des Armeegeschäfts „Woentorg“ wartet unterdessen noch ein Eisverkäufer. Seine Botschaft muss er nicht mehr unter die Leute bringen, jeder kennt sie hier: „Wer auch im bitteren Winter Eis ißt, ist unbesiegbar“. Unterdessen spielt die Bigband der Armee die US Andrew Sisters aus dem 2. Weltkrieg zum Zapfenstreich: „Bei mir biste shein...“. Vom 60 Meter hohen Fahnenmast grüßt zu guter Letzt noch die größte Flagge der Welt: 200 Quadratmeter russische Trikolore.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen