Migrationspolitik in Chile: Gabriel Boric spielt den Hardliner

Chiles linker Präsident Gabriel Boric steht in Mi­gra­tionsfragen von rechts unter Druck. Jetzt droht er tausenden Mi­gran­t:in­nen mit Abschiebung.

Vor einer bemalten Mauer stehen Zelte, ein Mann hockt vor einem dampfenden Kochtopf

Unterkunft von Migranten in Iquique, Chile Foto: Alex Diaz/Aton Chile/imago

SANTIAGO taz | Eine von der politischen Rechten entfachte Debatte über Migration und Kriminalität setzt Chiles Präsidenten Gabriel Boric unter Druck. Die Anzahl der Mi­grant:innen, die nach Chile einreisen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht. Zahlen der Vereinten Nationen zufolge leben in Chile 1.645.015 Mi­gran­t:in­nen, das macht etwa 8,45 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Chile ist damit das Land mit dem höchsten Anteil ausländischer Bevölkerung in Südamerika. Die meisten von ihnen kommen aus Venezuela, Peru und Haiti und Kolumbien.

Auch stark angestiegen ist die Zahl der Menschen, die über nicht genehmigte Grenzübergänge einreisen, meistens nach tagelangen Fußmärschen durch die Atacamawüste im Norden des Landes. Tagsüber ist es dort extrem heiß und nachts extrem kalt.

Gleichzeitig ist in Chile die Anzahl krimineller Banden, ungeklärter Mordfälle und der Drogenhandel angestiegen. Obwohl diese Entwicklung in keinem nachweisbaren kausalen Zusammenhang zur Migration steht, nutzen rechte Po­li­ti­ke­r:in­nen die Situation aus, um die Mi­gran­t:in­nen zu stigmatisieren und ein Feindbild zu schaffen – ein Diskurs, der von vielen Medien übernommen wird.

Und die populistische Strategie ist erfolgreich: Einer Umfrage des Centro de Estudios Públicos (CEP) zufolge glauben sieben von zehn Chilen:innen, dass die Mi­gran­t:in­nen für den Anstieg der Kriminalität verantwortlich sind.

Abschiebeflug ohne Erfolg

Die rechte Opposition, die im Parlament die Mehrheit hat, setzt die Regierung von Gabriel Boric unter Druck – und der Präsident gibt nach. „Die Regierung muss kriminelle Migranten abschieben“, sagte Felipe Kast, Senator der Partei Evópoli vergangene Woche in einem Interview mit dem Kanal T13. Die Parlamentsabgeordneten der rechten Partei Renovación Nacional, der auch der rechte Ex-Präsident Sebastián Piñera angehört, stellten Mitte November ein Ultimatum: Wenn die Regierung bis zum Jahresende nicht 12.000 Mi­gran­t:in­nen abschiebt, will die Opposition eine Verfassungsklage gegen die Innenministerin Carolina Tohá einreichen.

Boric teilte zwar in einer Ansprache mit, dass „Migration nicht mit Kriminalität verwechselt werden“ dürfe. Aber er ordnete einen Flug zur Abschiebung von 60 Mi­gran­t:in­nen nach Venezuela an. Nur durfte das Flugzeug nicht in Venezuela landen, weil es offenbar nicht über die notwendige Autorisierung verfügte.

Mehrere der Menschen, die abgeschoben werden sollten, hatten keine Einträge im Strafregister, sondern waren lediglich über unerlaubte Grenzübergänge eingereist. Der gescheiterte Flug verschärfte die Debatte über die Migrationspolitik der Regierung zusätzlich.

Am 31. Dezember läuft jetzt eine Frist ab, die Boric gesetzt hat. Alle volljährigen Migrant:innen, die vor dem 30. Mai über nicht genehmigte Grenzübergänge nach Chile eingereist sind, sollen sich mittels eines biometrischen Registrierungsverfahrens anmelden. Der Staat registriert ihre Fingerabdrücke, eine biometrische Aufnahme ihres Gesichts und persönliche Daten. Wer dem nicht nachkommt, soll als „verdächtig“ eingestuft, gesucht und abgeschoben werden.

Bislang allerdings haben nur etwa die Hälfte der 230.000 Personen, die sich anfangs für den Prozess angemeldet hatten, ihre Daten registrieren lassen. Das geht aus Daten der Nationalen Migrationsbehörde hervor. Der Druck auf Boric steigt, dem von ihm selbst gesetzten Ultimatum dann auch Taten folgen zu lassen.

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