Migrationsgeschichte im Journalismus: Wir sind noch nicht so weit
Einst schrieb unsere Autorin einen wütenden Text. Sie wollte nicht nur „Ausländerthemen“ haben. Heute sieht sie es anders.
Zu Beginn meiner journalistischen Karriere hatte ich vor allem: Sorgen. Ich machte mir viele Gedanken darum, was für eine Journalistin ich sein wollte oder eher nicht sein wollte. Kein Boulevard, kein Lokal- oder Musikjournalismus. Vor allem wollte ich auf keinen Fall die Quotenausländerin sein. Ich wollte mich weder mit den Themen der „Migration“ noch der der „Integration“ befassen.
Es ging so weit, dass ich einen wütenden Text über die Erwartungen an Journalist*innen mit Migrationshintergrund schrieb. Absatz über Absatz empörte ich mich darüber, wie häufig ich von Kolleg*innen zu Migrationsthemen angefragt wurde. Dabei hatte ich zu dem Zeitpunkt nie gezeigt, dass ich mich dafür irgendwie interessiere. Ich fühlte mich aufgrund meiner Herkunft in eine journalistische Ecke gedrängt und brach aus, indem ich betonte, nicht mehr über Migration zu schreiben.
Das ist sechs Jahre her, und oberflächlich gesehen habe ich alles erreicht, was ich wollte. Ich betreibe vor allem Medien- und Debattenanalyse in der Popkultur und den sozialen Medien. Es macht mir Spaß, ich habe meinen Ton gefunden, doch fehlte mir etwas. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass mein großkotziger Rant zwar immer noch richtige Aspekte beinhaltet, mich aber vor allem einschränkte. Der Ton, die Aggressivität, die Eindeutigkeit – das war nicht mehr ich.
In den vergangenen Jahren habe ich dann doch Artikel zum Themenkomplex „Migration“ geschrieben. Ich habe untersucht, wie muslimische Minderheiten in den Medien dargestellt werden. Diese Texte waren richtig und wichtig, ich kam mir aber dennoch wie eine Versagerin vor, die ihren eigenen Ankündigungen nicht gerecht geworden ist.
Nicht einen auf Bushido machen
Klar, könnte ich jetzt einen auf Bushido machen und sagen: „Zeiten ändern dich“. Doch so einfach ist es nicht. Es war wichtiger herauszufinden, woher meine Abneigung gegen das Thema kam und warum ich es dann doch überwunden habe.
Wenn ich meinen Text und meine Erfahrungen von vor sechs Jahren reflektiere, kommt vieles wieder hoch – vor allem erinnere ich mich an ein gewaltiges Gefühl der Überforderung. Überforderung gegenüber meinen Ansprüchen und denen anderer. Viele Personen mit Migrationshintergrund kennen wahrscheinlich das Gefühl, zur Spokesperson einer gesamten Ethnie gemacht zu werden.
„Ey, sag mal, was ist eigentlich mit dem Erdoğan. Warum wird der denn gewählt?“ Man solle sich doch bitte erklären, was da los ist, und sich dabei zugleich rechtfertigen. Wenn man keine Türkin ist, auch egal – irgendwie ist doch alles dasselbe. Die eigene Existenz wird zum Teil eines imaginären Kollektivs – die Muslim*innen, die Araber*innen, die Türk*innen – egal, wie wenig davon auf einen selbst zutrifft. Mitgefangen, mitgehangen. Als Individuum zählst du nicht, immer bist du Repräsentant.
Im Berufsleben hat sich das teilweise fortgesetzt, selten boshaft, meist einfach unbewusst. Einmal wurde ich gefragt, ob ich nicht den Termin mit den syrischen Geflüchteten übernehmen möchte, um mit ihnen zu reden. Meine Aussage, dass ich leider kein Arabisch spreche, wurde mit einiger Verwunderung aufgenommen.
Wenn in der Redaktionssitzung das Thema Salafismus aufkam, spürte ich direkt einige Seitenblicke. Natürlich kann mir niemand in den Kopf gucken und sehen, wo meine Kompetenzen liegen und wo nicht. Auch weil ich bei gewissen Migrationsthemen doch Expertise habe.
Es ist aber die Selbstverständlichkeit, mit der diese Anfragen zwischen Tür und Angel kamen, die mir oft das Gefühl gaben: „Ja, ich bin eine ziemlich miese Migrantin. Eigentlich sollte ich das doch wissen und jetzt enttäusche ich alle.“ Ich fühlte mich als Eindringling, dessen einzige Berechtigung in den Redaktionsräumen ist, sich mit diesen Ausländerthemen auseinanderzusetzen. Und dann schaffte ich das nicht einmal.
Deutsch wie Rohmilchkäse
Also ging ich in die Offensive und entschloss, mich nicht mehr damit auseinanderzusetzen. Ein bisschen erinnerte mich das an eine Trotzreaktion, die ich auch in der Schulzeit zeigte. Ich hatte keine Lust mehr und einfach entschieden: Ich habe keinen Migrationshintergrund mehr, ich bin deutsch wie Rohmilchkäse.
Good old Assimilation. Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass man sich der Mehrheitsgesellschaft nur genug anpassen muss, nur noch weniger auffallen muss, nur mehr zustimmen muss, um endlich dazuzugehören.
Ich war quasi ein Pick-Me-Kanake geworden, das ethnische Äquivalent zu einer Frau, die bei einem sexistischen Witz noch einen drauflegt und stolz darauf ist, dass sie ja nicht „wie die anderen Weiber“ sei.
Doch ich habe die Erfahrung gemacht, die viele Minderheiten machen: Du kannst tun, was du willst: Ein Fehltritt und du bist wieder nur Ausländer. Ich will meine Existenz nicht mehr politisieren, aber haha, die Politik und die Gesellschaft ist nicht fertig mit mir. Irgendwann musste ich einsehen, dass ich eben anders bin, anders erlebe, anders erlebt werde. Also musste ich mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich nie als komplett deutsch wahrgenommen werde und auch nicht bin. Mittlerweile ziehe ich daraus auch meine Kraft.
Ein ähnlicher Prozess wurde im Laufe meiner journalistischen Arbeit angestoßen. Es kam wahrscheinlich erschwerend hinzu, dass ich bei den Gesellschafts- und Medienseiten gelandet war. Meine Aufgabe war es, Debatten zu verfolgen und die Berichterstattung anderer zu analysieren. Ich sah, las, hörte, wie Journalist*innen Fehler in ihrer Arbeit machten und welchen Einfluss das auf das Leben vieler Migrant*innen hatte.
Wir Journalist*innen prägen Bilder von Bevölkerungsgruppen. Sei es der Hartz-IV-Schmarotzer oder die unterwürfige Kopftuchfrau: Die Berichterstattung orientiert sich an angeblichen Merkmalen einer Gruppe und hängt sich dabei an Narrativen auf, die der Komplexität der Realität nicht entsprechen.
Die negativen Bilder bleiben hängen
So kommen Muslim*innen in Medien oftmals nur im Kontext von Gewalt und Terror überhaupt vor. Doch diese Bilder bleiben hängen, diese Geschichten haben einen Einfluss darauf, wie die Gesellschaft auf diese Gruppen blickt.
Teilweise fühlte ich mich wie ein Fußballtrainer der B-Jugend, der vom Spielrand röhrt: „Ey, wat soll denn dat?!“ Doch ich war kein Trainer, ich war eine Mitspielerin. Ich musste mich einmischen und das hieß: journalistisch aktiv werden. Dabei halfen mir auch die Kontakte zu anderen Journalist*innen mit Migrationshintergrund und der Austausch mit ihnen über meine Zweifel und Überlegungen.
Ich fühlte mich nicht mehr allein. Also griff ich doch ins Spiel ein und schrieb über Migration. Vielleicht lässt sich dieser Text als Resignation lesen. Wir sind leider noch nicht in der Situation, in der ich dieses Thema und meinen eigenen Migrationshintergrund hinter mir lassen kann.
Aber ich empfinde es nicht als Versagen, im Gegenteil. Ich habe meinen Frieden geschlossen mit meiner eigenen Wahrnehmung, meinen Grenzen, meinen Wünschen. Und damit fahr ich ziemlich gut. Wenn jemand eine andere Vorstellung hat, was ich als Migrantin gefälligst tun und lassen kann, kann ich damit besser umgehen. Wenn ich über Migration schreibe, heißt es noch lange nicht, dass ich mich darauf festlege. Ich weiß, was ich kann, und wer das nicht weiß, dem kann ich es auch deutlich machen.
Mein Text von 2016 ist trotzdem immer noch wahr, nur eben nicht mehr für mich. Ich bin selbst gespannt, wie es sich hier weiterentwickelt. Wir sehen uns in sechs Jahren wieder.
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