Migrationsexperte über Seerettungs-NGOs: „Repression wird gelockert“
Wie wird die neue italienische Regierung mit Seerettungs-NGOs im Mittelmeer umgehen? Migrationsexperte Christopher Hein ist vorsichtig optimistisch.
taz: Herrn Hain, können die im Mittelmeer tätigen NGOs jetzt feiern, mit einer neuen Regierung in Italien, ohne einen Innenminister Matteo Salvini?
Christopher Hein: Feiern können sie in keinem Fall. Sie machen ja eine eher traurige Arbeit, nämlich Menschen aus Seenot zu helfen, die keine andere Wahl haben, als auf diesem Weg nach Europa zu kommen. Es geht darum, die ganze Politik infrage zu stellen, die es notwendig macht, dass sich Menschen überhaupt in diese Lebensgefahr begeben müssen. Zu feiern gibt es höchstens den Tatbestand, dass die bisherige schroffe Repression gegen die NGOs gelockert werden wird – was allerdings noch lange nicht heißt, dass sie verschwinden wird.
Worauf gründen Sie diese skeptische Annahme?
Man darf nicht vergessen, dass die Fünf Sterne für Salvinis Sicherheitsdekrete mit ihren Sanktionen gegen die NGOs gestimmt und die Politik der „geschlossenen Häfen“ mitgetragen haben. Das ist die gleiche Bewegung, die jetzt erneut in der Regierung sein wird. Man sollte sich also keinen Riesenumschwung erhoffen.
Welche Rolle kann der PD in der Koalition spielen? (der Partito Democratico, PD, ist 2007 aus einem Bündnis von Italiens Sozialdemokraten, den ehemaligen Eurokommunisten von der PCI, und linken Christdemokraten entstanden, Anm. der Red.)
Auch hier ist daran zu erinnern, dass es Marco Minniti, der damalige Innenminister aus den Reihen des PD war, der im Jahr 2017 die Abkommen mit Libyen schloss, die zur Ausrüstung der libyschen Küstenwache durch Italien führten. Und Minniti leitete auch die Kampagne gegen die NGOs ein. Übertriebener Optimismus ist nicht am Platze.
war in den Jahren 1990 bis 2015 Direktor des Consiglio Italiano per I Rifugiati, des Italienischen Flüchtlingsrates. Seit 2013 ist er zudem Professor an der Universität LUISS in Rom.
Wenigstens Salvinis Strategie, die NGOs zu kriminalisieren, könnte aber doch wohl ein Ende sehen.
Davon gehe ich aus. Ich will aber gleich hinzufügen, dass es nicht bloß die Regierung, sondern auch Teile der Justiz waren, die diese Strategie vorangetrieben haben. Zum Beispiel die Staatsanwaltschaft von Catania hat da mindestens genauso viel, wenn nicht noch mehr Schaden angerichtet als Innenminister Salvini selbst.
Könnte die neue Regierung auf der europäischen Ebene mehr Erfolg haben, wenn es darum geht, in der Union gemeinsame Lösungen zu definieren?
Das halte ich für wahrscheinlich. Natürlich hängt das auch von den anderen Ländern, vorneweg von Deutschland, ab. Ich gehe davon aus, dass alles dafür getan wird, die neue Regierung zu unterstützen, wenn es um die Ausschiffungshäfen und die sofortige Umverteilung der Flüchtlinge und Migranten geht. Da ist der Ball jetzt bei den anderen Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, Frankreich, Spanien und den anderen aus der sogenannten Koalition der Gutwilligen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin