Migration: Wer kriegt die Flüchtlinge?

SPD-Landrat und CDU-Bürgermeister streiten darüber, ob Goslar zusätzliche Asylsuchende aufnehmen darf. Schlichten soll Niedersachsens Innenminister Pistorius.

Und hier sollen ganz viele Flüchtlinge hin: heile christliche Weihnachtswelt in Goslar. Bild: dpa

HANNOVER taz | Der Landrat des Kreises Goslar im Harz, Thomas Brych, ist sauer, richtig sauer: Der Oberbürgermeister der gleichnamigen, aber kreisangehörigen Stadt, der Christdemokrat Oliver Junk, sorge für „Irritationen und Ärger in der Kreisverwaltung“, verbreite „eifrigen Aktionismus“, setze auf „Schnellschüsse“ – und das beim „sensiblen Thema“ Asyl, ärgert sich Landrat Brych.

Dabei sei der Oberbürgermeister für Flüchtlinge überhaupt nicht zuständig, erklärt Brych per offizieller Presseerklärung: Nicht einmal eine „eigene Ausländerbehörde“ leiste sich die Stadt Goslar noch.

Was den Sozialdemokraten Brych ärgert: Sein CDU-Konkurrent Junk hat vor zwei Wochen einen Mediencoup gelandet. Während viele Kommunen über Schwierigkeiten und Kosten der Aufnahme von Schutzsuchenden klagten, warb Bürgermeister Junk um die Migranten. Schließlich leide der Harz massiv unter Bevölkerungsschwund. Allein das 51.000 Menschen zählende Goslar hat in den vergangenen zehn Jahren 4.000 Einwohner verloren. „Wir überleben nur durch Zuwanderung“, sagt Junk deshalb. „Bei uns stehen viele Hotels und Pensionen leer, während im wenige Kilometer entfernten Göttingen Platznot herrscht.“

Doch das Konzept des Bürgermeisters sei schlicht falsch, argumentiert Brychs für die Aufnahme von Asylsuchenden offiziell zuständige Kreisverwaltung: „Mit mehr Flüchtlingen möchte Junk die Probleme des demographischen Wandels, der Leerstände und des Fachkräftemangels lösen“, sagt Brychs Sprecher Dirk Lienkamp. „Das funktioniert so nicht.“

Mit seiner Bitte um "Zuweisung" von mehr Flüchtlingen hat Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk für Aufsehen gesorgt: Der CDU-Mann redete über Chancen der Migration, nicht über Kosten.

Junks Lohn waren bundesweite Schlagzeilen: Zeit, Süddeutsche und Tagesspiegel berichteten ebenso wie RTL und N-TV.

In Hannover überwiegt dagegen Skepsis: Junks unabgesprochener Vorstoß gefährde den landesweiten Schlüssel zur Flüchtlingsunterbringung - und damit den Grundkonsens im Umgang mit Schutzsuchenden.

Nach dem Wegfall der Residenzpflicht blieben nur vier Prozent derjenigen, die sich Hoffnung auf ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik machen dürften, im Harz. Warum das so ist, versuche die kreiseigene Leitstelle für Migration und Teilhabe gerade herauszufinden. Viele der Migranten ziehe es schlicht in größere Städte, wo bereits Freunde oder Verwandte wohnten – oder wo es mehr und bessere Jobs gebe, vermutet der Sprecher.

Außerdem lehne der Kreis Junks Vorschlag der Unterbringung in „Hotels und Pensionen“ ab. Stattdessen bemühe sich die Verwaltung um Wohnungen für Flüchtlinge – durch engere Nachbarschaft funktioniere Integration einfach besser als in Massenunterkünften.

„Der Kreis bringt die Flüchtlinge falsch unter“, hält Christdemokrat Junk dagegen. Seine Stadt sei einfach attraktiver als „dörfliche Strukturen“, glaubt er. Gleichzeitig will der Bürgermeister Befürchtungen entkräften, der Kreis könnte auf den Kosten möglicher Migration sitzen bleiben – schließlich kalkulieren Kreise und Kommunen mit jährlichen Kosten von bis zu 10.000 Euro pro Schutzsuchendem. Vom Land erstattet werden aber nur rund 6.000 Euro.

Bei einem ersten Gespräch habe Göttingens Sozialdezernentin Dagmar Schlapheit-Beck (SPD) Interesse an Ausweichquartieren in Goslar signalisiert – und angeboten, die Kosten der Unterbringung weiter zu übernehmen, ist aus beiden Stadtverwaltungen zu hören. Schlichten soll den Streit mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius ein weiterer Sozialdemokrat: Am Donnerstag sind Bürgermeister und Landrat ins Ministerium nach Hannover geladen.

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