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Mietendeckel und EnteignungenEs geht ums Prinzip

Volkan Ağar
Kommentar von Volkan Ağar

Der Mietendeckel kommt bald – wer braucht dann noch Enteignungen? Eine Frage, die zur Wurzel des Mietenwahnsinns führt. Ein Wochenkommentar.

Graffito „DW enteignen“ prangt an der Brandmauer eines Wohnhauses im Berliner Ortsteil Westend. Foto: ZB

A lle sprechen über den Mietendeckel, niemand mehr über Enteignungen. Das war zuletzt der Eindruck, auch nachdem sich die Koalitionäre auf ihren Mietendeckel geeinigt hatten. Dieser fällt nun zwar gemäßigter aus, als ein Tage zuvor aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung durchgestochenes Papier vermuten ließ. Doch auch dieser Deckel wird die Mieten auf eine Weise regulieren, die dem Mietenwahnsinn – trotz aller Schwächen, Ausnahmen und praktischen Ungewissheiten – für die kommenden fünf Jahre Einhalt gebieten wird.

Die Frage ist nun: Schafft der Deckel das auf eine solche Weise, dass die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, wie von der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“gefordert, überflüssig wird? Noch entscheidender: Glauben die Berliner, dass es wegen des Mietendeckels Enteignungen nicht mehr braucht?

Diesen Eindruck, hieß es immer wieder, würden manche Sozialdemokraten gern vermitteln. Sie sähen den Mietendeckel nicht als Selbstzweck, sondern auch als Gegengift gegen die Enteignungsbewegung, hörte man aus Koalitionskreisen. Schließlich waren es drei sozialdemokratische Politiker, die die Mietendeckeldebatte ursprünglich so richtig in Fahrt gebracht hatten.

Traut sich die Kampagne, ihren systemkritischen Kern zu betonen?

Was der Mietendeckel schon vor seiner finalen Realisierung bewirkt: Das Enteignungsvolksbegehren befindet sich jetzt unter größerem Argumentations- und Legitimationsdruck. Das ist nicht unbedingt schlecht für die Kampagne. Und in jedem Fall ist es gut für die Debatte. Der Mietendeckel ist zwar ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Mietenwahnsinn, er hat aber seine Schwächen.

Riskant, aber auch eine Chance

Da ist die Frage nach der Umsetzung, da sind die bürokratischen Hürden für Mieter, die ihre Miete senken dürften. Da ist die Tatsache, dass Immobilienkonzerne trotzdem weiterverdienen können – über Umwandlungen in und Verkauf von Eigentumswohnungen zum Beispiel.

Ob die Enteignungskampagne trotz Mietendeckel eine gewisse Dynamik bewahren kann, wird deshalb von der Diskursführung der Aktivisten abhängen. Schaffen sie es, den systemkritischen Kern – Wohnen nicht als Ware, sondern als Grundrecht – so zu vermitteln, dass den Berlinern klar wird: Hier geht es um Grundsätzlicheres als um einen fünfjährigen Mietenstopp? Trauen sie sich, das noch offener zu betonen als bisher? Das ist strategisch riskant, aber vielleicht die einzige Chance auf Erfolg.

Ein aktueller offener Brief der Aktivisten an Berliner Sozialdemokraten deutet zumindest darauf hin, dass sie diesen Weg gehen werden. Mit Bezug auf den Mietendeckel heißt es dort: „Wir brauchen dringend auch nachhaltige Maßnahmen, die das Problem an der Wurzel bekämpfen.“

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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7 Kommentare

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  • In den 80er Jahren waren die Fronten viel klarer: da argumentierten diverse verbände, Banken und so weiter gegen den sozialen Wohnungsbau, weil der Mieterhöhungen verhindere und damit 'private Investitionen' unwirtschaftlich mache. Also klipp und klar: Wir brauchen höhere Mieten, um bessere Geschäfte machen zu können.



    Dass nun ausgerechnet Sozialdemokraten gegen Enteignung und für einen (natürlich löchrigen) Mietendeckel sind, könnte Gründe haben, die schon mit einem Blick in die Grundbücher leicht erklärbar wären. Worin haben denn die Möchtegern-Bürger der Arbeiteraristokratie ihren 'Wohlstand' "investiert", wenn nicht in 'Betongold'?



    Fleicht machen sich ja mal ein paar taz'ler an so eine Fleißarbeit...

  • Natürlich ist Wohnen ein Grundrecht, aber warum sollten alle des Recht haben, an einem bestimmten Ort wohnen zu dürfen? Und zu einem Festgelegten Preis?

    Und noch viel wichtiger - wie soll ein Mietendeckel (oder eine Enteignung) dies realisieren? Wie?

    Fall 1: Eine Wohnung wird frei.



    Nehmen wir mal der Einfachheit halber an, es wäre die einzige Wohnung in fraglichen Gebiet. Nun beweben sich:



    a. Ärztin + Architekt, keine Kinder, beide verdienen überduchschnittlich gut.



    b. Familie mit 2 Kindern, zwei Normalverdiener



    c. Familie mit 2 Kindern, lebt von Hartz IV



    d. Flüchtlingsfamilie mit 4 Kindern, Vater hat gerade eine Festanstellung bekommen.

    Wer soll die Wohnung bekommen? Wie hilft hier Deckel oder Enteignung? Klar wir brauchen noch ein Amt, welches 'Bedürftigkeit' prüft und dann die Wohnungen verteilt!

    Fall 2: Ich wohne bereits in der Wohnung. Jetzt kommt der Mietdeckel – yeah – 200€ weniger.



    Der Vermieter bietet mir die Wohnung zum Verkauf an – zum ‚Marktpreis‘. Der Mietdeckel hat mir kurz geholfen. Bis ich wieder genauso viel für die Finanzierung meines Kaufs zahlen muss.



    Oder ausziehen muss, da der neue Besitzer auf Eigenbedarf pocht – wer ein Feindbild braucht – das ist das Paar (a) aus Fall 1.



    Wie hilft mir hier Enteignung? Soll der Staat enteignen (mit Steuergeldern) und mir dann die Wohnung zur niedrigeren Miete überlassen? Warum mir? Ist mein Recht auf die Wohnung mehr wert, als das der anderen vier Beispiele? Auch hier hilft das Amt für Bedürftigkeit!

    • @Gastnutzer 42:

      Zunächst wäre wichtig, nicht immer von vorne zu betonen das niemand das Recht habe an einem bestimmten Ort zu wohnen. (Das ist ein bisschen wie die Behauptung die kein Mensch je aufgestellte: Alle können nach Deutschland kommen) Es ignoriert absichtsvoll oder bewusstlos den Gegenstand des Konflikts: Die informellen Gesetze des Marktes bestimmen wer wo wohnen darf und noch wohnen kann. Das ist eine strukturelle Gewalt die unsere Städte segregiert. (Die Welt im übrigen auch) Damit muss sich eine gutsituierte Bewohnerschaft im Prenzlauer Berg in ihrer seniorenbefreiten Zone genauso auseinandersetzen, wie der Risiko-Investor in Immobilien dem wir sagen müssen: Das Problem ist die Privatisierung der Rentenvorsorge, die nun eine Heerschar von Kleinanlegern danach rufen lässt ihre Risiko-Investition staatlich abgesichert zu bekommen. Weshalb die Wohnung, Grund und Boden Spekulatiosware an der Börse zu sein hat. Vor dem Hintergrund geburtenstarker Jahrgänge die also verlangen das ihre Rente von der Miete eines anderen Rentners bezahlt wird. Der diese von seiner Rente bezahlen muss kann man ahnen worüber wir insgesamt reden. Und warum es welchen irgendwo gar nichts ausmacht was in den Städten passiert, in denen ihr Investment "arbeitet"



      Von den ganz grosse Immobilien-Konzentrierern gar nicht zu sprechen.



      London. Paris. Etc.



      Deshalb ja. Man kann dem Kommentar hier nur zustimmen. Im Grunde müssen wir andersrum diskutieren: Privateigentum an Grund und Boden ist die Ausnahme von der Regel. Regel ist Erbpacht aus öffentlichem Eigentum. Es gibt kein Ewigkeitsrecht auf Eigentum an der nicht vermehrbaren Ressource Grund und Boden. In der Tat haben wir hier die ganz grosse Frage an die moderne soziale Demokratie: Niemand kann ein Ewigkeitsrecht auf Eigentum an Grund, Boden, Wasser, Luft beanspruchen. Konzernleitungen sind keine demokratische Veranstaltung. Wie wir wo mit wem leben wollen sollte aber eine Demokratische sein.

      • @Martinxyz:

        Wer bestimmt dann, wer wo wohnen darf?



        Insbesondere dann, wer mehr Leute an der gleichen Stelle wohnen wollen?

        Sie? Ich? Die Anwohner? Frau Merkel? Die AfD?

        • @Gastnutzer 42:

          Wer bestimmt nennt man Demokratie. Und bestimmt wird zum Beispiel darüber das der Wert von Grund und Boden, die soziale und ökonomische Mischung /Durchlässigkeit eines Wohnortes nicht bloss an einem in Geld ausgedrückten Handelswert gemessen wird. Es gibt andere legitime und unverzichtbare Rechte und Interessen. Sie fangen hier wirklich die ganz grosse Diskussion an, ohne sie führen zu wollen. Wer bestimmt den Zugang zu Bildung. Sagen uns die Statistiken das unser Bildungssystem von unten nach oben wenig durchlässig ist. Was glauben Sie wäre nach 30 Jahren Einheitsdeutschland zu sprechen - weiss man das der Bürger der DDR nichts erbt. Oder in dieser Generation kaum Risiko-Investitionen in Immobilien zur privaten Rentenversicherung investiert werden konnte. Nach Treuhand und ALG. Geht nicht wenigen im Westen auch so. Nur ist der Westen den notorisch von Besserverdienenden und Erben dominierten Gesetzgebungs-Diskurs gewöhnt. Wer nicht wissen will warum jetzt er im Prenzlberg oder Schwabing wohnt und nicht mehr die alte Dame die sich die Wohnung mit 40 Jahre Kohlen hoch schleppen verdiente. Na der tut halt so als merke er nichts und findet es in Ordnung. Die musste halt raus, sobald die Wohnung Zentralheizung hatte. Da würde nur signifikant kommunales Eigentum helfen. In dem neben Betrieb und Erhalt der Wohnungen, ganz einfach Wert, Profit, Gewinn ist, das dort die Rentnerin lebt, die Grossfamilie mit schmalem Gehalt und der Sohn eines Lageristen mit der Tochter des Anwalts um die Ecke Fussball spielt.

          • @Martinxyz:

            „Wer bestimmt nennt man Demokratie" – Bitte konkret – Demokratie? die kann ich schlecht anrufen und fragen. Wer soll das entscheiden? Ich möchte eine konkrete Lösung hören.

            Wo kann ich nachlesen, was eine adäquate soziale Durchmischung ist? Wer soll das festlegen? Gibt es Gruppen die dort gar nicht leben dürfen? Kann ich meinen SUV vor der Tür mit meinem Migrationshintergrund ausgleichen? Sie müssen ausziehen, jaja, das ist korrekt - tut uns auch sehr leid, dass sie noch ein Kind bekommen haben – aber der Slot ‚Familie mit 2 Kindern ist schon weg‘. Geben sie doch eins in Heim. Oder bei gleichgeschlechtlich hätte ich noch was frei – wollen sie sich nicht scheiden lassen und mal umorientieren?

            Selbst wenn aller Grund in Berlin kommunal wäre. Und alle Wohnungen Wunschmieten der Mieter hätten. Wie kläre ich, wer welche Wohnung bekommt? Was zählt mehr? Alter? Herkunft? Geschlecht? Was ist dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz? Wollen wir losen? Heute im Topf, einmal Zentrum und dreimal Pampa? Wie soll es praktisch funktionieren?

            Solange die Nachfrage hoch ist, werden die Preise hoch sein. Ob das nun Mieten, Kaufpreise oder Bestechungsgeschenke sind, ist am Ende doch egal. Und solange ich nur an den Symptomen rumdocktere bleibt es Aktionismus. Ich könnte als Stadt oder Staat das Leben wo anders attraktiver machen, oder den ÖPNV verbessern. Das könnte ich machen. Das würde funktionieren. Ich kann aber auch mit sinnlosen Vorstößen die Leute beschäftigen. Solange die Leute das nicht merken und nichts unternehmen, solange geht das so weiter.

            • @Gastnutzer 42:

              Richtig "Gastnutzer42" und "FRÜHERMALLINKS" Wir sprechen über nichts Absurdes. Und schon gar nicht im Tonfall eines Pubertierenden, der über Regeln nicht sprechen will und sich deshalb in eine Spirale echauffiert ihm würde andauernd etwas verboten.



              In Wien sind ca. 40% des städtischen Wohnungsbestandes in kommunaler Hand. Ich wüsste nicht das dort eine Mielkebehörde die Mieter terrorisiert. In Bayern - ich glaube es ist Nürnberg oder Regensburg, verkaufen Städte seit Jahren keinen öffentlichen Grund mehr. Sie verpachten nur noch. Und haben so über die üblichen demokratischen Institutionen die Möglichkeit weiterhin mitzusprechen was Stadtplanung und Stadtpolitik betrifft. Das geschieht dort wie wir es kennen: Im Widerstreit unterschiedlicher Interessengruppen. Eine davon ist die Stadt, in Berlin ist es gleich auch das Land. Vertreten durch ein Parlament. Da es offenbar keinen politischen Konsens über Parteien hinweg gibt kann man nur hoffen dass RRG weiter für dieses Ziel steht: Will man den sozialen Gebrauch des Eigentums, vor allem von Grund und Boden nicht der "freiwilligen Selbstverpflichtung der Wirtschaft" überlassen, werden wir Eigentums- und Besitzformen finden müssen die eine politisch-demokratische Steuerung tatsächlich ermöglichen.



              Dagegen haben Sie nur den Zynismus des "wer nicht bezahlen kann soll halt gehen" vorzuweisen. Schauen Sie sich die Investitionseinöden in Stadtteilen an, in denen in London einmal Londoner gelebt haben. Wieso sollten wir den Grund und Boden unserer Stadt dafür hergeben? Wir haben doch nur den einen. Über den bestimmt nicht einfach der, der das meiste Geld hat. Das hätte ja gar nichts mit Demokratie zu tun.