piwik no script img

Michael Töpel über digitales Lernen"Auswendiglernen ist Wahnsinn!"

Wer sinnvoll mit Computern lernen will, muss vorher kapieren, dass er für sein Wissen selbst verantwortlich ist, erklärt Michael Töpel – und fordert einen Einsatz von Notebooks ab der dritten Klasse.

Michael Töpel: "In der Grundschule sind alle noch ganz fröhlich, die Kinder gehen gerne in die Schule." Bild: dpa
Interview von Franziska Seyboldt

taz: Guten Tag, Herr Töpel. Mein Diktiergerät ist kaputt, deshalb nehme ich das Interview mit dem iPhone auf. Moment...

Michael Töpel: Ah, das ist ja für unser Thema sehr interessant. Ich bin übrigens auch nicht sehr technikaffin.

Danke. Wie kommt es dann, dass Sie sich für Lernen mit Notebooks einsetzen?

Meine Arbeit ist natürlich in einem zentralen Punkt immer von Technik bestimmt. Ich habe früher Forschung gemacht und sehr viel darüber nachgedacht, wie man Technik gesellschaftlich verstehen kann. Mich hat dabei aber mehr der Ansatz interessiert, dass Werkzeuge die Welt verändern. Es gibt kaum eine so gesellschaftsverändernde Kraft wie Werkzeuge.

Der Computer ist also nur ein technisches Hilfsmittel?

Genau. Man darf Technik nicht unter dem Aspekt des Bewunderns von Möglichkeiten sehen - das ist ja auch der Apple-Aspekt - sondern unter dem Aspekt der Werkzeugfunktionalität. Mir war sehr früh klar, dass das ein spannendes Feld sein wird. Gerade auch in Richtung Schule, weil diese Technik Informationen verarbeiten kann und weil Lernen - nicht nur, aber auch - Informationsverarbeitung ist. Ich wusste: Da wird etwas passieren, das wird hochspannend sein.

Bild: privat
Im Interview: 

Michael Töpel hat den Arbeitskreis Lernen mit Notebooks gegründet.

Trotzdem springen wahrscheinlich gerade die Apple-Verrückten auf Einrichtungen wie Notebookklassen an.

Ja, wir erreichen oft nur die Technikaffinen, die Early Adopters, und das ist ein Riesenproblem - sowohl bei Lehrern als bei Schülern. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass Frauen einen anderen Ansatz beim Umgang mit Technik haben. Sie sind pragmatischer, ergebnisorientierter. Schülerinnen werden eher erreicht, wenn man nicht mit der Technik ins Haus fällt, sondern Beiträge zu sinnvollem Lernen zeigt.

Wie sieht denn sinnvolles Lernen mit Notebooks überhaupt aus?

Möglichst alles Wissen muss jedem Schüler zur Verfügung steht. Es muss dafür gesorgt werden, dass jeder Schüler sich das Wissen in pädagogisch sinnvollen Prozessen aneignen kann, so wie es am besten funktioniert. Und das geht mit technischer Unterstützung, jedenfalls wenn sie möglichst immer von unten nach oben angeordnet entwickelt wird. Und wenn sie dem Prinzip folgt, dass sie möglichst bedienerfreundlich ist, aufwandsarm und preisarm.

Also wie Ihr Arbeitsmittel LASSI, ein USB-Stick....

Ja. Da ist alles drauf, was die Schüler gelernt haben, ihr ganzes Wissen, und wie sie mit Wissen umgehen. Wenn sie ernsthaft damit gearbeitet haben, ist das wertvoll. Das gibt dem Lernenden Autonomie, niemand zwingt ihn dazu, das selbe zu machen wie die anderen, nur weil es das selbe Ding ist. Die Devise ist: Bau deine eigene Wissenswelt auf. Wir müssen versuchen, das Lernen und Lehren vom Kind her zu gestalten. Das ist ein ganz schwieriger Prozess.

Und das klappt durch die Notebooks?

Nein. Sagen wir es mal ganz vorsichtig: Das ist eine Hoffnung. Notebooks sind das, was an notwendiger Innovation stattfinden muss in der Schule. Wir brauchen diesen ganz generellen Umschwung, damit Lernen erstens wieder für die Lernenden, für die Gesellschaft, aber auch für die Entwicklung unserer Gesellschaft in Richtung Wissensgesellschaft sinnvoller und fruchtbarer wird. Leider ist unser ganzes System auf den Gedanken ausgerichtet, dass Wissen aus Wissensvermittlung entsteht.

Was ist falsch daran?

Wissen entsteht durch Wissenserwerb. Bei Pisa und Co stellt man fest: Die Schüler verfügen hauptsächlich über träges Wissen. Sie haben zwar Wissen gespeichert, können es aber nicht anwenden.

Wie konnte das denn passieren?

Es gibt zwar noch keine fundierten Untersuchungen, aber betrachten Sie mal plausibel, wie das System funktioniert: In der Grundschule sind alle noch ganz fröhlich, die Kinder gehen gerne in die Schule. Irgendwann verliert sich das, das ist schon mal das erste Drama. Zweitens passiert Folgendes: In den ersten zwei, drei Jahren geht es im Wesentlichen darum, Fertigkeiten wie lesen, schreiben und rechnen zu erwerben. Und damit verbindet sich auch ein individuell sehr wichtiger Stolz: Ich kann etwas.

Aber das ist doch gut!

Ja, doch ab der dritten Klasse ändert sich das. Da beginnt der sogenannte Sachunterricht. Und kommt man schließlich aus der Grundschule, aus dieser geborgenen Welt, ins Gymnasium, ist Lernen völlig fremdbestimmt. Man lernt für eine Klassenarbeit und die wichtigste Frage ist: Was kommt dran? Das hat nichts mehr mit verstehen zu tun, oder die Welt zu erklären, mit allem was in den schönen Präambeln von allen Lehrplänen der Welt steht. Bei der Klassenarbeit schreibt man alles auswendig gelernte einfach runter. Bekommt man eine gute Zensur, ist klar: Aha, so funktioniert also Lernen. Und wenn der Schüler keine Veränderung von außen spürt, keinen Druck, dann wird er sich auch nicht ändern.

Und wenn der Schüler eine 5 in Mathe bekommt?

Dann resigniert er und erlebt eine Art Selbstentwertung, weil er mit dem Lernen nicht klar kommt. Er versucht, den Stoff mit Gewalt in seinen Kopf zu stopfen und liest seine Unterlagen tausendmal durch - anstatt zu versuchen, sie zu verstehen. Er lernt quantitativ statt qualitativ.

Der Einsatz von Notebooks im Unterricht sollte also möglichst früh beginnen.

Ja, wenn die Wissensarbeit beginnt, also ungefähr ab der dritten Klasse. Vorher muss der Schüler kapieren, dass er für sein Wissen selbst verantwortlich ist und verständnisvoll damit umgehen muss. Auswendiglernen ist Wahnsinn!

Viele Eltern haben ja einige Bedenken, was das Arbeiten mit Notebooks angeht. Zum Beispiel, dass die Schüler lieber im Internet surfen, anstatt zu lernen...

Wenn der Wille da ist, zu wissen und Wissen zu erlernen, wird kein Kind auf Pornoseiten surfen. Ablenkung gibt es natürlich immer, früher gab es eben Zettel, die unter dem Tisch durchgereicht wurden. Wenn man den Unterricht vom Kind her denkt, passiert das alles nicht.

Funktioniert das nicht auch ohne Notebook?

Doch, natürlich. Doch kein Mensch, der klug ist und Kinder versteht, wird sie in diese Welt hineinschicken, wo sie selbstverständlich diese Technologie brauchen und auch haben wollen. Niemand wird freiwillig auf ein Notebook verzichten. Das gehört einfach zu unserer Zeit und wird nie mehr anders sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • ST
    Sebastian Thürrschmidt

    Mal abgesehen davon, daß es diesem Gespräch so ein bißchen an der Substanz fehlt: Irgendwie werd ich das Gefühl nicht los, daß, sollten unsere Schulkinder dereinst wirklich einmal jedes mit einem eigenen Notebooks ausgestattet werden, nicht Mac OS und schon gar nicht Linux, sondern einzig und allein Microsoft Windows darauf laufen wird ... und keiner wird erklären können oder auch nur zu erklären brauchen, wie es dazu kommen konnte.