Michael-Buthe-Ausstellung: Der große Ausbruch
Michael Buthe hat ein vielgestaltiges Werk hinterlassen, das von kargen Zeichnungen bis zu raumgreifenden Skulpturen reicht. Das Hamburger Barlach-Haus zeigt den Künstler als Vermittler zwischen Orient und Okzident.
Ausbrechen ist alles, so hat die Losung der Kunst im 20. Jahrhundert gelautet. Ob aus der Tradition, der Geschichte, der kulturellen oder sexuellen Identität: Hauptsache raus. Das gilt auch für den 1994 verstorbenen Künstler Michael Buthe, dessen Werk in der Ausstellung "Der Engel und sein Schatten" zurzeit im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zu sehen ist.
Begonnen hatte Buthe Ende der 60er mit arte povera, mit Holz, Kartons und kargen Zeichnungen. Eine dieser Zeichnungen sieht aus, als habe sie Pocken, als hätte der Maler mit der Faust aufs Papier geschlagen und in der Faust einen Bleistift gehalten. Auf einem anderen reichlich leeren Blatt zieht ein schwarzes Rechteck die Aufmerksamkeit an. Es lässt an einen Türrahmen denken, der hinausweist aus der Leere, kein verlockender Ausgang ob seiner Schwärze, aber immerhin, ein Ausgang.
Handfester zeigt sich Wut und Aufbruchsbegehren in einer Reihe von Werken, die der Ausstellungsmacher Harald Szeemann 1969 in der legendäre Schau "When attitudes become form" gezeigt hat: zerrissene, teils wieder zusammengenähte Leinwände und Stoffbahnen, die sich als künstlerisches Pendant zum politischen Protest gegen die überkommenen gesellschaftlichen Strukturen verstehen ließen. Zugleich knüpfen die Stoffe aber, nun ja, nahtlos an eine große kunstgeschichtliche Tradition an. Denn ob in der antiken Plastik oder, seit dem Mittelalter, in der Malerei: Stoff hatte es den Künstlern seit je angetan, so sehr, dass die Sujets ihrer Werke manchmal schon wie Vorwände wirken: Da malt der Künstler eine Madonna schon mal, um im Faltenwurf ihrer Gewändern schwelgen zu können.
Schwelgerisch ist dann auch das Adjektiv, das Buthes Kunst nach dem arte-povera-Anfang am besten kennzeichnet. Denn seit den 70er Jahren dominieren plötzlich infernalisch leuchtende Farben seine Bilder und Collagen, die wie Geschwüre über die gängigen Formate hinauswuchern, wenn sie nicht gleich den Weg zur Skulptur suchen: "La portö del paradiso" von 1977 ist ein Triptychon aus abgerockten Altbauwohnungstüren, verziert mit Talmiglanz und Palmenmotiv.
Diese neue künstlerische Orientierung überschneidet sich mit Buthes Entdeckung der orientalischen Welt. Er hält sich immer wieder in Marokko auf, in Tunesien, in der Türkei. Buthe wird zum Pendler zwischen Okzident und Orient, sein Werk zur Schnittstelle von altarabischen Mythen und westlichem Selbsterfahrungswillen. Und schließlich, in der Mitte des Werks: der Künstler höchstselbst, als Schamane, Magier oder oberster Zeremonienmeister.
Der Happening-Charakter von Buthes Kunst hat sich, ähnlich wie im Fall von Beuys, mit dem Ableben des Künstlers verflüchtigt. Karsten Müller, der die Ausstellung kuratiert hat, sieht darin auch den Grund, dass der viermalige Documenta-Teilnehmer Buthe heute im internationalen Kunstbetrieb kaum noch präsent ist.
Was von Buthes Kunst übrig geblieben ist, sind so gesehen Requisiten oder besser Reliquien. Ein wenig fremd ragen sie in den heutigen Tag. Wenn man etwa aufzählen würde, was alles nicht in Buthes Werk eingegangen ist: die Stadt, der Alltag, die technisierte Welt, müsste man sich erstaunt fragen, in welcher Welt und Zeit dieser Mensch eigentlich gelebt hat.
Vieles deutet in Buthes Werk auf Eskapismus, Exotismus. Es ist ein Trip. Vielleicht eine Hommage an bewusstseinserweiternde Drogen. Und manchmal auch sehr witzig, selbstironisch subversiv: Eines der Hauptwerke im Barlach-Haus ist eine fast zwei Meter große Skulptur mit afrikanischer Anmutung. Um einen Holzklotz ist viel Stoff drapiert, darauf Palmenwedel, bunte Federn, der Schaft eines Speers, ein Horn, vielleicht von einer Antilope, im Hintergrund ein Stammeszeichen. Bei näherem Hinschauen entpuppt sich dieses Stammeszeichen aber als heimischer Brotschieber, der Speer als Billardqueue, über dem Horn befindet sich ein Madonnengesicht, und auf ihrem Haupt eine Krone, nein, eine Dose. Genau so eine, wie sie Kinder auf den Rummelplätzen umzuwerfen lieben.
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