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Mexiko ist ein Gedicht

Von der Stadt in die Berge bis an den Strand und zurück: Eine poetische Rundreise

Aus Mexiko-Stadt Du Pham (Text und Fotos)

2.240 Höhenmeter, der Junge keucht

Raucherlunge, Seitenstechen, beim Umherziehen durch Mexiko-Stadt

Katzen und Hunde vom Himmel, Prepaidkreditkarte, Taco al Pastor.

Tote Ratte im Mercado Medellín, der Kopf scheint eingeschlagen

Der frischgepresste Mangosaft so in Süße verdichtet,

als wäre er die bessere Fälschung seiner selbst

Auf den Kopf gestellt, die Fahrräder der Mitarbeitenden:

Diebstahlschutz.


Gehwege, breit, von Bäumen gesäumt

durchbrochen durch ausgedehnte Wurzeln, es ist sehr grün

Asphalt, lückenhaft, gebräunt

durch Zuchthunde und schlechte Manieren.

Basura! Klingeling Klingeling! Die Müllabfuhr ist da!


In der Hocke im Müllwagen,

Menschen stellen weitere Tonnen und Beutel ab,

sie sind voll und schwer

In der Hocke, die Diversität an Abfallwirtschaft analysierend und strukturierend

Sie ist ein galliges Meer.

Seine Haarlinie ist voll und dunkelschwarz gegelt,

die weißen Hemdärmel hochgekrempelt

Es ist nicht Elvis, es ist der Koch des Mercado Michoacán

er notiert auf dem Bestellschein den Namen „Amigo“.


Blaue Seilbahnen zwischen bunten Häusern, erhaben,


bewegen Be­woh­ne­r*in­nen fort,

gleichzeitig


fort kommt niemand von dort


Aus Iztapalapa, im Osten von Mexiko-Stadt,

dem Bezirk mit der höchsten Rate an Vergewaltigungen und Gewalt an Frauen,

und gleichermaßen

nicht aus Nezahualcóyotl,

der ärmsten Millionenstadt Mexikos,

direkt nebenan gelegen.

Die Mülltüte am Straßenrand, zu klein, Hundepfoten ragen heraus.

Morgens um sechs knallt es, ein lichterloses Feuerwerk,

Oaxaca feiert die 
Guelaguetza

Traditionelle Tänze, regionale Köstlichkeiten, kulturelles Erbe

Haare, Kleidung, Häuser, in Frische und Farbe getaucht

Der zebrastreifengelbe Eimer überfahren vorm Mercado

Am Abend, als die Grillabteilung besetzt wird,


sind sämtliche Spuren beseitigt.


Männer in Masken und Kleidern schenken am Zócalo Mezcal aus

Die Aushangtafel in Gedenken der Vermissten

(125.000 Menschen in Mexiko gelten als verschwunden).

Die Parade beginnt


Das ältere Paar, adrett, flaniert bedächtig


distanziert vom Gewimmel

Seine Füße schluppen ein wenig aus den Schuhen.

Das Portal des Oxxo-Supermarkts

vermacht Arbeitern Schatten


Sie essen Cup Noodles.


Auf der Suche nach Kühle


soll es die Cola in der Glasflasche sein


(mexikanische Rezeptur, echter Rohrzucker, mit Pfand)

soll sie direkt getrunken werden

Wir suchen den Schatten vor

gemachter Touristifizierung

Ein anderer Arbeiter mit 2-Liter-PET-Cola

(amerikanisch, Maissirup, ohne Pfand)

geht vorbei, kehrt um und reicht uns einen Flaschenöffner.

Der Gastronomiefundus des Oxxo

beinhaltet alles zwischen Sushi und Grillhähnchen

Der Mitarbeiter der unmexikanischen Schlemmerküche und banalen Kantine

zieht Mitgebrachtes vor

Sein Gesicht wolkenlos heiter, die Augen schattig

Der Markt hat noch bis 22 Uhr geöffnet

auf seiner Tupperdose sind Schmetterlinge. 


Auf der Männertoilette

zieht ein Gast 
ein Bier auf null. (Quelle: Junge)

Eine barfüßige Amerikanerin im Wortwechsel mit amerikanischen Zeugen Jehovas,

sie möchte mit ihrem Sohn eine volunteering experience erleben.

Am Straßenstand sind die Plastikteller zusätzlich in eine Plastikhülle gepackt

Mexiko geht das Wasser aus.

Im Sammeltaxibus Colectivo schaukelt es gemächlich


der Fahrer nimmt uns früher mit


für eine kostenlose Tour durch die Dörfer

Ein Mann döst, neigt sich, neigt seitlich zu fallen,

die Frau, den Blick ungelöst von der koreanischen Telenovela auf dem Telefon,

stupst ihn von schräg hinten in den sicheren Ruheraum zurück.

Der Regen verwandelt die Piratenstadt Campeche in ein Aquarell auf zu viel Margarita

Er steht am Torbogen der Stadtmauer, seine Stimme hallt die Calle 59 entlang

Frisur und Kleidung eines Liam Gallagher, 1993. Selbst die nach außen geneigte Fußstellung.

Die Konzertgitarre knapp unterm Herzen.

Er freut sich auf das Oasis-Konzert in Mexiko-Stadt und ich wünsche ihm die Welt.

Am Ende der Calle befindet sich die älteste Kantine der Stadt

Salón Rincón Colonial

Antonio Banderas drehte hier „Original Sin“

Heute ist die Bar mürrisch und die Hailasagne sündhaft unoriginell.

Mérida pulsiert,

Busse pupsen heiß und stickig im stockenden Verkehr

Auspuff Gesichtshöhe, Bordsteine Kniehöhe

Drehen, schwanken nicht nur auf der Bratplatte des Straßenstandes mit Cochinita Pibil,

dem wahrhaften Pulled Pork

Als statt des üblichen Speichelflusses Unpässlichkeit eintritt,

kniet ein Junge am Bordsteinrand und übergibt sich

rücksichtsvoll an den Menschen vorbei


Der Verkehr pulsiert dicht an seinem Kopf vorbei.

Ausflugsmenschen mit Frohsinn im Gesicht, Einzeldingen in den Händen

steigen samstags in den Jitney nach Progreso,

an den Strand

Die wenigen Liegen, die für den Preis eines teuren italienischen Wassers belegt werden können,

werden von Paaren genutzt, um ungeschoren zu knutschen und Bier zu trinken

Die vielen Sitzplätze, die für einen günstigen Snack unbegrenzt genutzt werden können,

sind kurz nach elf lückenlos belegt

Familien und Freundesgruppen, unter Sonnenschirmen gequetscht,

ertrotzen sich mit Musik, teilen Mitgebrachtes


Nicht Vorhandenes kann erworben werden

Sandía Chapulines Papas

Eine Familie kauft fast jedem fliegenden Händler etwas ab, vom Armband bis zum Styropordrachen

Wenige schwimmen, viele planschen.

Im Jogginganzug, mit brennender Zigarette zwischen den Fingern

Das Rauchen im öffentlichen Raum ist verboten


Die Boutique in Mexiko-Stadt hat sich auf Abendkleidung spezialisiert

Mit einer Nuance Abfälligkeit vor sich hin murmelnd tastet sie ein Glitzeroutfit ab.

Über zwei Blocks erstreckt sich das Barrio Chino geschäftlich-kameradschaftlich

Die junge Frau bestellt sich einen frischen Ananassaft, 


der mittelalte Mann neben ihr auf dem Stromkasten raucht Crack


Um die Ecke winken dutzende Katzen

Das HONG KING ist gut besucht.

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