Messerattacke im Jobcenter: „Sie war ein Zufallsopfer“
Die Mitarbeiterin des Jobcenters in Neuss musste offenbar sterben, weil der Täter befürchtete, jemand könnte seine Daten unerlaubt verkaufen.
BERLIN taz | Einen Tag nach dem mutmaßlichen Mord an einer Jobcenter-Mitarbeiterin aus Neuss ist klar: Die 32-Jährige starb nicht, wie zunächst angenommen, weil sie dem Täter eine Leistung verweigerte oder kürzte. Sie scheint vielmehr ein Zufallsopfer gewesen zu sein, wie die Polizei am Mittwoch auf einer Pressekonferenz bekannt gab. „Es ging um eine absolute Nichtigkeit, die in dieser Form in keiner Weise nachvollziehbar ist“, sagte der Leiter der Düsseldorfer Mordkomission Guido Adler.
Der Täter habe jüngst bei einem anderen Sachbearbeiter im selben Gebäude im Zuge einer Qualifizierungsmaßname eine Datenschutzerklärung unterschrieben, so Adler. Wenig später habe der 52-jährige Arbeitssuchende im Fernsehen einen Bericht über Datenmissbrauch gesehen. Bei einer ersten Vernehmung gab der Mann an, er habe Angst gehabt, Unbefugte könnten seine Daten weitergeben und damit Geld verdienen. Deshalb habe er den Sachbearbeiter zur Rede stellen wollen.
Das Jobcenter in Neuss wird nach Angaben der Polizei nicht bewacht. Als er den Sachbearbeiter nicht antraf, ging er zu Irene N., die ihn seit März 2012 betreute und an den Kollegen verwiesen hatte. Weil die Jobcenter-Mitarbeiterin, die nach der Attacke im Krankenhaus verstarb und einen Sohn hinterlässt, einen Termin mit einem anderen Kunden hatte, bat sie den Beschuldigten, das Büro zu verlassen.
Daraufhin zückte der mutmaßliche Mörder ein Messer und stach nach Angaben der Polizei auf die Frau ein. Als das erste Messer abbrach – warum, ist noch nicht bekannt – zückte er ein zweites, handesübliches Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwanzig Zentimetern und attackierte die Frau drei Mal. Zwar gab er bei der Vernehmung an, er habe sie nur verletzen wollen. Das nimmt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten aber nicht ab.
Keine Anhaltspunkte für Unzurechnungsfähigkeit
„Die Verletzungen und die Wucht, mit der der Beschuldigte zustach, sprechen eindeutig für eine Tötungsabsicht“, sagte Staatsanwältin Britta Zur. Zwei Mal habe er dem Opfer das Messer bis zum Schaft in den Bauch gerammt, ein weiteres Mal in den Oberschenkel. Dann verließ er das Jobcenter mit dem Messer in der Hand.
Ob der Täter zur Tatzeit geistig zurechnungsfähig war, ist noch nicht bekannt. „Wir haben aber bisher keine Anhaltspunkte, die dagegen sprechen, den Beschuldigten in Untersuchungshaft zu stecken“, sagte Zur. Durch die Schreie des Opfers alarmiert, riefen Kollegen die Polizei.
Diese nahm den mutmaßlichen Mörder auf der dem Jobcenter gegenüberliegenden Straßenseite fest. Nach Angaben der Polizei ist der Mann geschieden und Vater von fünf Kindern. Straftaten habe er sich bislang nicht zuschulden kommen lassen, so Adler. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehl wegen Mordes beantragt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!