Menschenrechtsexperte zum Fall Chen: „Der Hausarrest war reine Willkür“
China wirft den USA „Einmischung in innere Angelegenheiten“ vor. Doch dem Experten von Human Rights Watch zufolge haben die US-Diplomaten gesetzestreu gehandelt.
taz: Herr Kine, die Pekinger Regierung reagiert sehr verärgert darauf, dass die US-Botschaft in Peking den Bürgerrechtler Chen eine Woche lang in ihren Räumen beherbergte. Haben die Diplomaten gegen chinesische Gesetze verstoßen?
Phelim Kine: Die amerikanischen Diplomaten haben nicht gegen chinesische Gesetze verstoßen. Chen floh nicht vor der chinesischen Justiz und er betrat die US-Botschaft aus freiem Willen. Er wurde nicht wegen eines Verbrechens gesucht.
Chen stand bis letzte Woche unter Hausarrest. Wer hat den Arrest verhängt? Gegen welche Gesetze hatte Chen verstoßen?
Chen wurde von der lokalen Provinzbehörde Schandong rechtswidrig für 19 Monate festgehalten. Chen und seine Familie waren unter illegalem Hausarrest von dem Tag an, als er im September 2010 aus dem Gefängnis entlassen worden war. Es gab keine rechtliche Grundlage dafür, dass Chen und seine Familie festgehalten wurden. Es war reine Willkür, die noch dadurch übertroffen wurde, dass Chen, seine Frau und seine Mutter von ihren Überwachern immer wieder geschlagen wurden
Funktionäre sagen, Chen habe die Stabilität Chinas bedroht. Was hat er getan?
Der Journalist ist seit 2007 Experte für China und Asien bei Human Rights Watch. Davor war er Korrespondent in China, Indonesien, Kambodscha und Taiwan.
Chen hat nicht anderes getan, als die Rechte von Frauen in der Provinz Schandong zu vertreten, die Opfer von Zwangsabtreibungen und erzwungener Sterilisation geworden waren, die von den lokalen Behörden für Familienplanung durchgeführt wurden.
Nach Informationen aus Peking will Chen in China bleiben. Ist er dort sicher?
Solange die chinesische Regierung nicht bestätigt, wo und wie Chen Guangcheng und seine Familie in China „sicher leben können“, sind sie in Gefahr, Opfer von Vergeltungsmaßnahmen der lokalen Regierungsbehörden von Schandong zu werden, die für das Leid Chens und seiner Familie verantwortlich waren, ohne strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.
Welche Folgen hat diese Affaire Ihrer Ansicht nach für die Bürgerrechtsbewegung in China?
Chen ist ein Symbol für Widerstand und Mut. Er hat sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte eingesetzt.
Was bedeutet es für das Rechtssystem in China?
Dies ist nur ein Fall. Es bleibt abzuwarten, ob dies zu einer Änderung in der chinesischen Haltung führt, die geprägt ist von massivem Vorgehen gegen Verteidiger der Menschenrechte und von der Einschränkung fundamentaler Rechte, die durch das Völkerrecht und Chinas eigene Verfassung garantiert sind.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen