Menschenrechtsanwältin über Mexiko: „Ein grundlegendes Misstrauen“
Korruption und Gewalt sind in Mexiko tief verwurzelt. Alejandra Ancheita über die Rolle des Staates, die Regierung Peña Nieto und strukturelle Ungleichheit.
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taz: Frau Ancheita, angesichts der 43 verschwundenen Studenten fordern mexikanische Oppositionelle den Rücktritt von Präsident Enrique Peña Nieto. Ist das realistisch?
Alejandra Ancheita: Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Aber zweifellos ist die Forderung legitim. Die Bundesregierung hat bis heute nicht effektiv auf das Verschwinden der Männer reagiert.
Warum trauen die Angehörigen weder dem Generalstaatsanwalt, der drei Schuldige präsentierte, noch dem Präsidenten?
Die Angehörigen haben von Anfang an gefordert, dass die Verantwortlichen benannt werden – nicht zuletzt um zu verhindern, dass sich solche Verbrechen wiederholen. Doch die Ermittlungen gingen sehr schleppend voran. Vor allem aber wollten sie, dass die Behörden ihre Söhne lebend wiederfinden. Die Strafverfolger gingen bei ihren Ermittlungen jedoch von vornherein davon aus, dass die Verschwundenen tot sind. Das hat ein sehr tiefes Misstrauen bewirkt, man traut dem Willen und den Fähigkeiten der Strafverfolger nicht. Dazu kommt ein grundlegendes Misstrauen gegen die Behörden. Das beruht auf der langen Geschichte der Korruption und Straflosigkeit in unserem Land. Es fehlt das ernsthafte Bemühungen, dieses zu überwinden und dadurch Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Die Demonstranten und die Angehörigen sagen: Es war der Staat. Was meinen sie damit?
Für die Festnahme und das Verschwinden war die lokale Polizei mitverantwortlich. Das war von Beginn an klar. Zudem gibt es seit Langem eine direkte Verbindung zwischen dem Bürgermeister, der die Verhaftung angeordnet hat, und dem Gouverneur des Bundesstaates Guerrero, Ángel Aguirre. Aguirre ist nun ja auch zurückgetreten. Es steht außer Zweifel, dass es sich nicht um eine individuelle Aktion gehandelt hat, auch wenn man noch nicht alle Hintergründe kennt. Und der Bürgermeister und seine Polizisten sind ja eigentlich für die Sicherheit der Bürger verantwortlich.
Warum wurden gerade die Studenten so brutal angegriffen?
Dafür gibt es bislang keine eindeutige Erklärung. Eine große Rolle spielt die starke Diskriminierung aufgrund der Klassen- und der ethnischen Zugehörigkeit, die in Mexiko existiert. Fast alle Studenten kommen aus armen Gemeinden in Guerrero, häufig handelt es sich um Indigene. Die Familien kostet es viel, ihre Kinder auf die pädagogische Fachschule zu schicken. Die Gewalt ist strukturell und alltäglich, und das dürfte auch jetzt bedeutsam gewesen sein.
Wie könnte die Regierung Vertrauen zurückgewinnen?
Sie muss endlich Klarheit schaffen über die 43 Studenten. Und sie muss zeigen, dass sie ernsthaft die Menschenrechtsprobleme im Land angeht. Bislang hat die Regierung keine Erklärung dafür, dass 26.000 Menschen verschwunden sind. Im Gegenteil: Attacken auf indigene Gemeinden nehmen zu. Ebenso die Kriminalisierung. Auch Gruppen, die sich zum Beispiel gegen Bergbauprojekte oder die Zerstörung ihrer Böden einsetzen, werden zunehmend Opfer von Angriffen. Die Regierung kann diese Leute ebenso wenig schützen wie alle anderen, die nicht zu den Privilegierten gehören. Nur wenn sich das ändert, kann die Regierung Vertrauen zurückgewinnen.
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