Menschenrechtlerin über Song Contest: „Ich lehne einen Boykott ab“
Die prominente Menschenrechtlerin Arsu Abdullajewa fordert die Künstler auf, beim ESC in Baku vor ihrem Auftritt zu erklären, dass sie für die Demokratie singen.
taz: Frau Abdullajewa, angesichts der Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite in Aserbaidschan wird in Deutschland immer wieder ein Boykott des Eurovision Song Contest (ESC) diskutiert. Macht ein Boykott Sinn?
Arsu Abdullajewa: Ich lehne einen Boykott des ESC ab. Der ESC ist doch nicht nur eine Veranstaltung der Machthaber, sondern er ist ein Feiertag für alle Menschen in Aserbaidschan. Jetzt gilt es, die Aufmerksamkeit, die unser Land dank des Wettbewerbs erhält, für demokratische Veränderungen zu nutzen. Wir Menschenrechtler machen das.
Wir rufen die Teilnehmer des ESC auf, von der aserbaidschanischen Regierung die Freilassung aller politischen Gefangenen vor dem Musikwettbewerb zu fordern. Der ESC gibt uns eine gute Plattform für unsere Forderungen nach Demokratie, Rechtsstaat und Freilassung aller politischen Gefangenen. Wir müssen wegkommen von unserer derzeitigen Pseudodemokratie zu einer echten Demokratie.
Was planen aserbaidschanische Menschenrechtler im Vorfeld der Eurovision konkret?
Zahlreiche Gruppen haben sich zu dem Bündnis „Eurovision ohne politische Gefangene“ zusammengeschlossen. Wir werden uns an Regierungen, Gesellschaften und Musiker der Länder wenden, die eine Delegation zum ESC senden, und sie um Unterstützung und Zusammenarbeit bitten. Wir erwarten von euren Regierungen, Zivilgesellschaften, Bundestagsabgeordneten einen gemeinsamen Einsatz mit uns für demokratische Veränderungen im Vorfeld der Eurovision.
Nein, die Möglichkeiten, die uns der Eurovision Song Contest bietet, dürfen wir wirklich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wir wünschen uns sehr, dass jede Sängerin und jeder Sänger beim Auftritt und in Interviews von sich aus das Thema „Demokratie“ und „politische Gefangene“ in Aserbaidschan anspricht.
57, ist Historikerin, Vizechefin der Helsinki Citizens Assembly (HCA). Für ihre mutige Arbeit für Frieden und Menschenrechte erhielt sie 1992 den Olof-Palme-Preis.
Bisher steht noch nicht fest, ob sich auch Armenien an dem Wettbewerb beteiligen wird. Man könne doch nicht in einem Land auftreten, in dem armenienfeindliche Einstellungen staatliche Politik seien, begründeten jüngst 25 armenische KünstlerInnen ihre Forderung nach einem Boykott des Wettbewerbs.
Ich würde es sehr bedauern, wenn die Armenier wirklich die Eurovision boykottieren würden. Die armenischen Künstler begründen ihre Forderung mit dem jüngsten Vorfall, als ein armenischer Soldat an der Waffenstillstandslinie getötet wurde. Doch seit Abschluss des Waffenstillstandes 1994 gab es immer wieder Vorfälle, bei denen Armenier und Aserbaidschaner ihr Leben verloren haben. Kürzlich ist ein aserbaidschanisches Kind durch ein Spielzeug getötet worden, das einen Sprengsatz enthielt.
Ich denke, eine Teilnahme Armeniens ist auch eine Chance für bessere Beziehungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern. Jedenfalls, und hier vertraue ich unseren Behörden, wird die Sicherheit der armenischen Delegation gewährleistet sein. Menschenrechtsgruppen nutzen den ESC auch, um zu zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Aserbaidschans friedliebend ist. So planen wir auch die Aktion „Ein Licht für den Frieden“, mit der wir der Weltöffentlichkeit zeigen wollen, dass wir eine militärische Lösung des Konflikts ablehnen.
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