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Menschenrechte sind immer eine Story wert

■ Den Medientroß, der Roman Herzog begleitet, interessiert nur eins: Wie lange und wie konkret hat der Bundespräsident mit Jiang Zemin über die Menschenrechte gesprochen

Seit zwei Tagen klebt der Medientroß an den Fersen des Bundespräsidenten auf dessen kurzen Marsch durch China: Drei Dutzend intelligente Menschen, die wie Schafe ihrem Hirten folgen, getrieben von den Hunden der chinesischen Sicherheitspolizei. Das Ganze erinnert an den Aufzug einer Reisegruppe: Niemand tritt zur Seite, keiner steht still. Die Gruppe macht alles mit, man klettert hinter dem Präsidenten auf berühmte Mauern, betritt Kaisertempel und Museen und schreckt auch vor Fabrikbesichtigungen und Messerundgängen nicht zurück. Nur Frau Herzog gelingt es gelegentlich, ernsthaftes Interesse zu bezeugen.

Dann endlich, 32 Stunden nach seiner Ankunft in Peking, gibt Roman Herzog den Journalisten ein Zeichen. Nach dem Staatsempfang in der Halle des Volkes signalisiert der Bundespräsident die Bereitschaft zu einem kurzen Presse- Briefing. Fünf Minuten, nicht länger. Doch plötzlich wacht die Begleiterschar auf. Von der Disziplin einer Reisegruppe ist jetzt nichts mehr zu spüren. Es wird gedrängelt wie im deutschen Fußballstadion. Natürlich geht es nur um ein Thema: die Menschenrechte.

„Wie lange haben Sie mit dem chinesischen Staatspräsidenten über das Thema gesprochen?“ – „Eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.“ – „Haben Sie die Liste von amnesty international übergeben?“ – „Das mache ich nicht bei solchen Gelegenheiten. Sie wird natürlich übergeben werden.“ – „Haben Sie einzelne Fälle wie den des Dissidenten Wang Dan angesprochen?“ – „Ich habe Gruppen konkret angesprochen. Ich spreche da jetzt nicht weiter.“ – „Wie hat der chinesische Präsident reagiert?“ – „Er hat sich nicht abgestoßen gefühlt.“

Nach dem kurzen Schlagabtausch kehrt bei den deutschen Gästen wieder Ruhe ein. Sorgfältig werden Notizen verglichen. Ein jeder möchte den Bundespräsidenten später so zitieren wie die Deutsche Presseagentur. Dann fahren die ersten KollegInnen zufrieden ab. Wenig später kommt zu Hause in Deutschland die Botschaft an: China–Herzog–Menschenrechte. Dieser Dreiklang wird die Asien- Reise des Bundespräsidenten im Takt von 90-Sekunden-Features und Kurzkommentaren bis zu ihrem Ende begleiten.

US-Außenminister Warren Christopher ergeht es zur gleichen Zeit nicht anders. Als er am Dienstag abend – als ranghöchster amerikanischer Staatsgast seit zwei Jahren – in Peking eintrifft, berichtet der US-Satellitensender CNN über die Menschenrechtsfrage: Christopher habe das Thema vor seinem Besuch „abgewertet“, heißt es bei CNN kurz und knapp.

Ganz so scharfe Kritik erntet Herzog in Deutschland nicht. Wohlwollend nehmen die deutschen Medienbegleiter in Peking zur Kenntnis, daß ihr Star beim Gipfelgespräch mit Staatspräsident Jiang Zemin gleich im zweiten Satz von „Irritationen“ im deutsch-chinesischen Verhältnis spricht. Herzog gelingt diese Äußerung gerade noch rechtzeitig, bevor die JournalistInnen den Gesprächssaal verlassen müssen. Er weiß in diesem Moment genau, zu wem er spricht – jedenfalls nicht zu Jiang Zemin, der ihm gegenübersitzt.

Der glückliche Moment sorgt für den Erfolg der Reise: Herzog hat die Menschenrechte angesprochen, noch bevor ein Mikrophon seine Stimme aufzeichnet. Das wirkt nun glaubwürdig. Bald wird die Stimmung in der deutschen Gruppe lockerer. Nachdem der Bundespräsident seine Mutprobe bestanden hat, brauchen die Medienvertreter nicht länger Distanz zu wahren. Aus der Schafsherde ist eine quatschende Entenschar geworden, die stille Reisegruppe hat sich endlich zur lauten deutschen Brüderschaft verwandelt. Und nicht wenige glauben, den Menschenrechten in China ihren Dienst erwiesen zu haben.

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