Menschenrechte in Kolumbien: Anerkennung des Staatsverbrechens

Der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Kolumbien wegen Mord und Folter nach der Erstürmung des Justizpalastes 1985.

6. November 1985: Das Militär stürmt mit Panzern den von Guerilleros besetzten Justizpalast in Bogotá. Bild: AP

BERLIN taz | 29 Jahre nach einem der schlimmsten Militärverbrechen in der kolumbianischen Geschichte hat der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof den kolumbianischen Staat als Schuldigen für Folter, Mord und Verschwindenlassen verurteilt. Das Urteil ist ein Meilenstein in der langen Geschichte der juristischen Aufarbeitung der Ereignisse in Bogotá am 6. und 7. November 1985.

Am Morgen des 6. November hatte ein 35-köpfiges Kommando der Guerilla M-19 den Justizpalast besetzt und rund 350 Justizangestellte und Besucher des Gerichtsgebäudes als Geiseln genommen. Wenige Stunden später begann die Armee, mit schweren Waffen das Gebäude anzugreifen, es kam zu schweren Schießereien im Inneren und zu Bränden durch Raketenbeschuss. 94 Menschen starben, darunter 60 Geiseln.

Unter denen, von denen die Armee behauptete, sie seien im Kreuzfeuer ums Leben gekommen, befand sich auch Carlos Horacio Uran, damals Richter am Verwaltungsgericht, dessen Leiche sich einen Tag später in der Gerichtsmedizin fand – in einem Saal, wo die getöteten Guerilleros aufgebahrt waren.

Erst gut 20 Jahre später tauchten Videoaufzeichnungen auf, die zeigten, dass Uran das Gebäude verletzt, aber lebend in Begleitung zweier Militärangehöriger verlassen hatte. Und persönliche Gegenstände, die Uran bei seinem Tod bei sich gehabt hatte, fanden sich in den Archiven des Militärgeheimdienstes. Urans Familie, darunter seine seit einigen Jahren in Berlin lebende Tochter Helena Uran Bidegain, ließ weitere Untersuchungen anstellen, die ergaben, dass ihr Vater vor seinem Tod gefoltert und dann erschossen worden war – eine Hinrichtung.

Jahrelange Justizblockade durch Regierung und Militär

Elf Menschen, darunter zahlreiche Angestellte der Cafeteria des Justizpalastes, galten als verschwunden – auch in einigen dieser Fälle tauchten dann allerdings Videos auf, die zeigten, wie sie das Gebäude lebend unter Aufsicht von Militärs verlassen hatten. Einige wurden in ein Nebengebäude gebracht und dort gefoltert: Sie wurden verdächtigt, mit der Guerilla kooperiert und Waffen ins Gebäude geschmuggelt zu haben. Die Leiche einer Angestellten wurde im Jahr 2000 in einem Massengrab gefunden, die anderen gelten offiziell bis heute als „verschwunden”

Angehörige der Getöteten und Menschenrechtsorganisationen versuchten seit geraumer Zeit, die militärischen Befehlshaber der Operation vor Gericht zu stellen. Militärs und Regierung blockierten, wo sie nur konnten: Eine Staatsanwältin wurde abgesetzt, eine Richterin so bedroht, dass sie das Land verließ, der Großteil der Verfahren scheiterte, und sowohl der jetzige Staatschef Juan Manuel Santos als auch sein Vorgänger, der ultrakonservative Alvaro Uribe, nahmen die Militärs stets gegen die Justiz in Schutz.

Das Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes ist für Helena Uran eine Anerkennung der Wahrheit. Kolumbien wird darin verpflichtet, die Suche nach den Überresten der Verschwundenen wieder aufzunehmen, in einem Staatsakt die Verantwortung zu übernehmen und den Fall öffentlich zu dokumentieren.

Helena Uran kritisiert, dass die systematische Straflosigkeit für die Militärs in dem Urteil nicht gegeißelt wird. Die Verurteilung des Mörders ihres Vaters ist ihr nicht so wichtig: „Es hilft mir nichts, wenn ein Soldat dafür zu 20 Jahren verurteilt wird. Aber ich will die ganze Wahrheit wissen. Ich will erfahren, warum sie ihn umgebracht haben,“ sagt die 39jährige.

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