Menschenjagd: Keine Chance zur Bewährung
Der aus der Sicherungsverwahrung entlassene Sexualstraftäter Hans-Peter W. musste nach Bürgerprotesten flüchten. Nun verhängen Behörden eine Nachrichtensperre.
Die Boulevard-Medien haben es geschafft: Der Bürger-Mob hat Jagd auf den Sexualstraftäter Hans-Peter W. gemacht, der von Bild, Mopo und Konsorten zum "Monster" stilisiert worden ist. Nun musste der aus Sicherheitsverwahrung entlassene 53-Jährige aus seiner Wohnung in Wilstorf mit Hilfe der Polizei flüchten. Über das Schicksal von Hans-Peter W. ist eine Nachrichtensperre verhängt worden, um den Boulevard-Jägern keine neuen Ansätze zu liefern.
Hans-Peter W., der 1981 wegen zwei Vergewaltigungen zu acht Jahren Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt worden war, musste aufgrund eines Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kurzfristig aus der Sicherheitsverwahrung entlassen werden, da diese die damals nur zulässige Dauer von zehn Jahren überschritten hat.
Die Entlassung von Sicherheitsverwahrten in Hamburg ist eigentlich nichts Besonderes. In diesem Jahr ist bereits ein Mann entlassen worden, ohne dass es einen Aufschrei gegeben hat. 2009 waren es zwei Personen. "Das wird in Fallkonferenzen frühzeitig vorbereitet", sagt Pia Kohorst, Sprecherin der Justizbehörde.
Die Behörde geht generell davon aus, dass ein Sicherheitsverwahrter nach zehn Jahren zu entlassen ist. Daher wird laut Behörden-Konzept ein engmaschiges ineinandergreifendes Netzwerk kontrollierender unterstützender Maßnahmen vorbereitet, in das der Untergebrachte nach der Entlassung übergeleitet werden soll. Daran sind von der Justizvollzugsanstalt über forensische Ambulanzen, Betreuungseinrichtungen und nach dem neuen TOP-Konzept ("Täterorientierte Prävention") auch Polizei und die Staatsanwaltschaft beteiligt. Die Federführung hat die im Bezirk Eimsbüttel angesiedelte Bewährungshilfe. Wichtigstes Element sei: Wo kann der Entlassene später wohnen, ohne dass es zu Problemen komme, so Kohorst. Erste Maßnahmen fänden bereits während der Verwahrung statt, wie der begleitete Tag in der City, damit der Untergebrachte auf ein Leben in Freiheit vorbereitet wird. "Der findet sich doch gar nicht mehr zurecht", so Kohorst. In der Justizbehörde geht man davon aus, dass 17 Sicherheitsverwahrte unter den Vorgaben des EGMR-Urteil frei kommen könnten. "Die Vorbereitungen laufen bereits an", sagt Kohorst.
Der Chefarzt der Forensik an der Asklepios-Klinik Ochsenzoll, Guntram Knecht, in der viele Sexualstraftäter therapiert werden, hätte sich nach Entlassung von W. mehr Besonnenheit der Öffentlichkeit gewünscht. "Es wäre besser gewesen, gelassen und ruhig zu reagieren", sagt der Psychiater. Ein Mensch der 30 Jahre in einer 13 Quadratmeter großen Zelle verbracht hat, habe ohnehin schon Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. "Es herrscht heute eine ganz andere Kommunikation." Die Jagd auf Hans-Peter W. sei daher "destabilisierend und erhöht auf Dauer das Risiko", sagt Knecht. Er wirft die Frage auf, ob es nicht sinnvoller sei, Menschen frühzeitig auf die Freiheit vorzubereiten, als jemanden unbefristet in Sicherheitsverwahrung zu stecken. Nun sei W. unvorbereitet per Richterspruch entlassen worden. "Jetzt wird man mit den Versäumnissen konfrontiert", sagt Knecht. Hans-Peter W. braucht laut Knecht nun "Kontrolle und Hilfe".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag