Menschen und Tiere im Kampf: Viecher im Widerstand
Auch nette Viecher haben genug von den Zumutungen des Homo sapiens: Sie schlagen, beißen, kratzen zurück – und töten. Ein Überblick.
In einem Waldstück nahe Saarbrücken lebt ein „aggressives Eichhörnchen“, das ahnungslose Spaziergänger anfällt und sie kratzt und beißt, berichtet dpa. In Ungarn bissen im Mai zwei Esel einen Mann tot: „Die Tiere rissen einen 65-jährigen Rentner von seinem Motorrad und griffen den am Boden Liegenden an, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab“, meldete eine ungarische Agentur.
Ende Oktober attackierte dann ein „wild gewordener Marder“ eine 62 Jahre alte Frau, als diese gerade aus einem Bekleidungsgeschäft im pfälzischen Maikammer trat. Ein 63-jähriger Passant konnte das Tier laut dpa in die Flucht schlagen.
Im Kreis Saalfeld-Rudolstadt griff ein Rothirsch eine Spaziergängerin an, indem er sie mit seinem Geweih in einen Zaun drückte. Und im thüringischen Oettersdorf krallte sich ein Bussard so fest in den Arm eines 59-Jährigen, dass die Feuerwehr den Greifvogel von ihm lösen musste.
Im US-Staat Oregon wurde nach Angaben der Behörden ein Farmer von seinen Schweinen getötet und aufgefressen.
Katze beißt in Klinik
Von Raubtieren bis hin zu Stadthunden, vor allem wenn sie verwildert sind, weiß man um ihre Gefährlichkeit. „Tiger tötete Tierpfleger im Zoo Münster“, titelte vor einigen Wochen die Bild-Zeitung: „Der Pfleger hatte vergessen, die Käfigluke zum Außengehege zu schließen, woraufhin die Raubkatze ihn von hinten ansprang.“ Am selben Tage titelte die B.Z.: „Meine Katze hat mich in die Klinik gebissen“. Eine Frau hatte „ihre Katze ’Habibi‘ (10) im Nacken gepackt. Das Tier rastete aus und biss mit ihren [sic!] scharfen Zähnen wild um sich.“
In Bukarest fiel jüngst ein Rudel herrenloser Hunde ein Kleinkind an und tötete es. Die Stadtverwaltung erwog daraufhin, alle 30.000 herrenlosen Hunde umzubringen. In Berlin kam es deswegen zu einer Protestdemonstration von Tierschützern vor der rumänischen Botschaft, während gleichzeitig in Bukarest Hunderte auf die Straße gingen, um das Töten „ihrer“ Hunde zu fordern.
Angeblich begann die Geschichte mit einem französischen Zeitungsbericht, in dem den verwilderten Hunden von Bukarest vorgeworfen wurde, dass sie leichtsinnigerweise „die Sicherheit von Ausländern gefährden“ würden.
Mutige „Instinktfestigkeit“
Auch mit den großen Pflanzenfressern ist nicht immer zu spaßen: Auf jeden im Zoo gehaltenen Elefantenbullen kommt ein toter Elefantenpfleger. Noch mehr Pfleger werden irgendwann von Elefantenkühen angegriffen. Kürzlich wurde eine Spaziergängerin in Hessen sogar von einer Milchkuh verfolgt und getötet. Sie, „Verona (8)“, hatte gerade gekalbt, weswegen man ihr mildernde Umstände zubilligte. Sie kam in ein Tier-Altersheim – und wurde nicht getötet, wie man es meist klammheimlich mit Elefanten macht, die einen Pfleger angegriffen haben.
Berühmt wurde die Exekution des New Yorker Elefanten „Topsy“, der drei Männer zerquetschte und dafür von Thomas Alva Edison öffentlich mit Strom hingerichtet wurde. Aus den Aufnahmen der „Electrocution“ machte Edison seinen ersten Werbefilm für Elektrizität.
Anders nun bei einem „Killerwal“, der jüngst während einer „SeaWorld-Show“ in Florida seine Trainerin ertränkte, er wurde anschließend im Meer freigelassen. Hier nahm man zu seinen Gunsten Unwissenheit an: Er dachte vielleicht, dass die Trainerin genauso lange die Luft anhalten könnte wie er.
Auch den Krähen gesteht man „Fehler“ bzw. „Überreaktionen“ zu – wenn sie zum Beispiel während der ersten Flugversuche ihrer Jungen besonders nervös sind und sich auf Radfahrer und Hunde stürzen. Ebenso den Schwänen und Gänsen, wenn sie in Verteidigung ihrer Brut aggressiv auf Menschen reagieren. Rechte und Darwinisten vermögen sie sogar ob dieser ihrer mutigen „Instinktfestigkeit“ zu loben.
„Petermann, geh du voran!“
Auch als unlängst ein 71-jähriger Jäger bei Potsdam von einem Wildschwein angegriffen und getötet wurde, hatte man Verständnis für diese Tat, da der Jäger zuvor auf den Keiler geschossen und ihn schwer verwundet hatte. Überhaupt werden Jagd- und Safari-„Unfälle“ gern mit einer Art von „Geschieht ihnen recht!“-Haltung quittiert. Und wenn Verhaltensforscher im Feld von einem der Tiere, die sie beobachten, angegriffen werden, bedauert man sie höchstens.
Zu makabrer Berühmtheit gelangte in diesem Zusammenhang der von einem Grizzlybär in Alaska getötete Tierschützer Timothy Treadwell, dessen Kamera die Tat aufnahm, woraus der Filmemacher Werner Herzog dann einen „kritischen Dokumentarfilm“ machte – mit dem Titel „Grizzly Man“.
Mitgefühl dominiert auch bei denjenigen Wildtieren, die in Gefangenschaft wenig „artgerecht“ permanent unterfordert werden und dementsprechend frustriert sind, wie zum Beispiel Schimpansen.
Berühmt wurde „Petermann“. Er kam 1949 als junger Schimpanse in den Kölner Zoo, wo er bald so beliebt war, dass er bei öffentlichen Veranstaltungen – Modeschauen, Prominentenpartys, Karnevalssitzungen etc. – auftrat. Als er alt und missmutig, sogar gefährlich wurde, vergaß man ihn einfach und er dämmerte fortan in einem Zookäfig vor sich hin – 25 Jahre lang. Bis er 1985 zusammen mit einer jungen Schimpansin namens Susi ausbrach, den Zoodirektor angriff, ihn schwer verletzte und dann auf ein Hausdach flüchtete, wo er aufrecht stehend und angeblich mit erhobener Faust zusammen mit Susi von Polizisten erschossen wurde. Seitdem ist er ein imaginärer Führer der Kölner Anarchisten, die „Petermann, geh du voran!“ auf ihren Demonstrationen rufen.
Harmlose Tierarten
Als dem Berliner Zoodirektor vor einiger Zeit ein Finger von einem Schimpansen namens „Pedro“ abgebissen wurde, erinnerte die Presse noch einmal hämisch an Petermann. Es gibt daneben auch mehrere Primatenforscherinnen, denen gefangen gehaltene Schimpansen einen Finger abbissen, und in Hoppegarten einen Schimpansentrainer, dem schon zwei Finger abgebissen wurden.
Anders liegt der Fall, wenn sich eine ganze – für gewöhnlich scheu und versteckt lebende – Art plötzlich erhebt: wie z. B. die Welse, die seit zwei Jahren in mehreren europäischen Gewässern Badende beißen und kleine Hunde in die Tiefe zerren – „Killerwale“ nennt die Presse sie. In Weißrussland hat der Präsident den Biber zum Nationaltier erklärt, und prompt sprang dort ein Biber einen Angler an, der ihn fotografieren wollte, und tötete ihn laut dpa mit einem Biss in die Oberschenkelschlagader.
Noch rätselhafter sind mehrere auf YouTube dokumentierte Fälle von kleinen „Kampfhamstern“, die sich mutig auf Menschen stürzen. Dort findet man auch Angriffe von Schwalben, Rebhühnern, Ziegen, Schafen, Kängurus und Kraken dokumentiert. Alles an sich harmlose Tierarten, die bisher höchstens von uns gejagt – und gegessen wurden.
Tiere und Pflanzen ohne Stimmrecht
Am beeindruckendsten ist ein Clip, auf dem ein Pony einen Mann fast totschlägt und beißt: „Horse Attacks Guy in Retaliation“ heißt das TV-Video von diesem Widerstands- beziehungsweise Verzweiflungsakt eines an sich friedlichen Pflanzenfressers. Das kleine Pferd wurde in Bombay von einem Mob durch die Straßen gejagt und dabei von einem Mann schwer misshandelt. In seiner Not stürzte es sich auf ihn und ließ nicht mehr von ihm ab.
Aber nicht nur die bedrängte Tierwelt fängt hier und da, noch unorganisiert, an, sich zu wehren, auch die Tierschützer werden immer rabiater. In der Schweiz, in Italien, aber auch in Deutschland häufen sich ihre Angriffe auf Tierhalter, die ihre Schutzbefohlenen quälen. Inzwischen gelten die Tierschützer in den USA schon als „die größte Terrorgefahr: US-Wissenschaftler verweisen etwa darauf, dass von 26 Anschlägen, die zwischen dem 11. September 2001 und Ende 2005 in den USA ausgeführt wurden, nur ein einziger einen islamistischen Hintergrund hatte. Fast der gesamte Rest ging auf das Konto militanter Tierschützer“, heißt es in der Berliner Zeitung.
Auf seinem zweiten Hundekongress, der Ende Oktober in der Kreuzberger „Denkerei“ der Lüneburger Universität stattfand, ging der Tierfreund und Kunsttheoretiker Bazon Brock schon so weit, die Tiere als „historisches Subjekt“ zu begreifen: Seit dem Christentum gehe es um „eine Revolution des Niederen.
Wenn der Künstler Kippenberger einen Frosch ans Kreuz nagelt, dann stimmt das.“ Brocks Einschätzung trifft sich mit der des Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, der in einer Rede an der Münchner Universität meinte: Irgendwann werde man es „genauso seltsam finden, dass die Tiere und Pflanzen kein Stimmrecht haben – wie nach der Französischen Revolution, dass bis dahin die Menschenrechte nicht auch für Frauen und Schwarze galten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles